Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Als er gestern beim russischen Gesandten war, frug lihn dieser 
über die Art der Verhandlungen, welche in London von Mijuschko- 
witsch hinsichtlich des Lowtjen geführt worden waren, über welche er 
aus Petersburg informiert worden sei, denn Mij uschkowitsch selbst habe 
dem russischen Botschafter gesagt, er sei mit dem österreichischen Bot¬ 
schafter und Baron Giesl1) bezüglich des Lowtjen als Kompensation für 
Skutari in Verhandlungen getreten und habe dem russischen Bot¬ 
schafter in London erklärt, der Lowtjen sei weniger für Montenegro 
als für Italien von Bedeutung, denn die Bocca di Cattaro mit dem 
Lowtjen würde einer der stärksten Häfen der Welt werden. 
Martinowitsch antwortete, er habe von diesen Verhandlungen Mijusch- 
kowitschs keine Kenntnis und derselbe habe von der Regierung keine 
Weisung erhalten, über eine so gewichtige Sache zu verhandeln. 
Gleich hierauf berief Martinowitsch sämtliche Minister zu einer 
Sitzung und trug ihnen die Unterredung mit dem russischen Gesandten 
vor. Es wurde beschlossen, beim König korporativ zu erscheinen und 
eine Aufklärung zu verlangen. Für jede Eventualität verfaßte Marti¬ 
nowitsch ein Rücktrittsgesuch und steckte es zu sich. 
Beim Könige angelangt, habe dieser auf seine Frage erwidert, daß 
er Mijuschkowitsch zur Führung solcher Verhandlungen nicht ermächtigt 
habe, sondern ihm nur so nebenbei erwähnt habe, wie er (der König), 
wenn er Delegierter wäre, trachten würde, durch das Hineinwerfen der 
Lowtjenfrage in die Diskussion, Italiens und Rußlands Bangen und 
Furcht zu erwecken. Es sei also möglich, daß Mijuschkowitsch nur aus 
diesem Grunde die Frage bezüglich des Lowtjen angeschnitten habe. — 
Schließlich überreichte der König Herrn Martinowitsch die Spezial- 
Chiffren, welche sich immer beim Könige befinden, damit er von Mi- 
juschkowitsch eine direkte Aufklärung verlange. — Martinowitsch 
hätte heute abreisen sollen, doch blieb er hier, um die erwähnte Auf¬ 
klärung abzuwarten. 
Im Laufe dieses gewichtigen Gespräches sagte der König, die Lowtjen¬ 
frage sei nicht nur eine Lebensfrage und eine Frage der Unabhängig¬ 
keit Montenegros, sondern auch eine Frage seiner Ehre und Pietät; 
am Lowtjen befinde sich das Grab eines seiner großen Ahnen1 2), des¬ 
sen Gebeine man dann „in einem Sack“ nach Cetinje bringen müsse! 
Übrigens sprach sich der König sehr scharf gegen Österreich-Ungarn 
aus, indem er seinen Ministern versicherte, er werde, falls es mit Öster¬ 
reich zum Kriege käme, die Welt in Staunen setzen, das Heer selbst 
führen und sich persönlich in die ersten Reihen stellen. Das Resultat 
dieser Unterredung war die unverzügliche Berufung der hiesigen diplo¬ 
1) Damals österreichischer Gesandter in Cetinje, der dem österreichischen Botschaf¬ 
ter, Grafen Mensdorff anläßlich der Botschafterkonferenz in London zugeteilt worden 
war. 
2) Des Bischofs und Dichters Peter Njegusch (i8i3—i85i). 
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