Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

wortete mir Fürst Urusoff, daß Baron Aehrenthal allerdings in Buchlo- 
witz (Buchlau) mit Herrn Iswolski yon der Möglichkeit einer Annexion 
gesprochen hat, daß er sie aber nicht als bald bevorstehend bezeichnete. 
Iswolski habe ihm geantwortet, daß Rußland im Prinzip einer solchen 
Abänderung des Berliner Vertrages, für dessen Aufrechterhaltung sich 
einzusetzen Rußland keinen Grund habe, nicht entgegentreten würde, 
aber er finde, daß eine solche Abänderung nicht ohne Zustimmung der 
Signatarmächte des Berliner Vertrages vorgenommen werden könne. 
Diese Zustimmung hat Aehrenthal nicht gesucht, und insoferne ist 
sein Vorgang auch für Rußland unerwartet 
Auf meine Frage, ob Rußland die Berufung einer Konferenz bereits 
lanciert habe, die sich mit der Neuordnung der politischen Lage zu be¬ 
schäftigen hätte, und ob Aussicht vorhanden sei, daß diese Konferenz 
Zusammentritt und Österreich-Ungarn sich an ihr beteiligt, antwortete 
mir Urusoff, daß der russische Antrag der Konferenz vorgestern aus 
Petersburg hätte abgehen sollen, daß er ihn aber bis gestern nicht er¬ 
halten habe. Bezüglich der Beteiligung der Mächte an der Konferenz 
wisse man bisher, daß Frankreich, Italien und Deutschland an ihr teil¬ 
nehmen wollen; England habe sich noch nicht endgültig ausgesprochen, 
aber man hofft auch auf dessen Teilnahme. Baron Aehrenthal habe ihm 
gesagt, daß Österreich-Ungarn im Prinzip auf die Konferenz eingeht, 
nur wünsche er, daß ihr Arbeitsprogramm im voraus festgelegt werde, 
was ja übrigens ganz natürlich sei; da aber die Festlegung des Pro¬ 
gramms möglicherweise lange dauern wird, so sieht es nicht danach aus, 
daß die Konferenz bald stattfinden wird. 
Übergehend auf die Erregung, die die Annexion von Bosnien und der 
Herzegowina in Serbien verursacht hat, sagte mir Fürst Urusoff, diese 
Erregung sei nach seiner Ansicht übertrieben; faktisch habe sich 
durch die Annexion gar nichts in dem Kräfteverhältnis auf dem Bal¬ 
kan geändert. Kein Vernünftiger habe denken können, daß Österreich- 
Ungarn aus eigenen Stücken die okkupierten Provinzen aufgeben würde 
und daß sie an Serbien fallen würden. Habe man bei uns auf diese Even¬ 
tualität gerechnet als auf eine Folge eines für Österreich-Ungarn un¬ 
glücklichen Krieges oder einer erfolgreichen Revolution in Bosnien, so 
bleibe ja diese Möglichkeit auch in Zukunft bestehen. Er 
verstehe den Protest, den wir gegen den Akt Österreich-Ungarns bei den 
Signatarmächten eingelegt haben, denn wir haben ihn einlegen müs¬ 
sen —, allein dies sei auch alles, was kleine Staaten in dergleichen Fällen 
tun können; weiter zu gehen und einen bewaffneten Konflikt mit Öster¬ 
reich-Ungarn hervorzurufen, wäre unverzeihlich und für Serbien ver¬ 
hängnisvoll. Er wisse, daß man hier gegen uns sehr schlecht gesinnt sei, 
und er glaube daher, daß es sehr gefährlich wäre, die Manifestationen, 
die sich täglich in Serbien abspielen, fortzusetzen. Dies würde gänzlich 
zum Vorteil Österreich-Ungarns und seiner Wünsche gereichen. Schon 
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