Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

sterium des Äußern steht und daher die Dispositionen, die am Ballplatz 
herrschen, gut kennt. Aus dem Inhalt halte ich füi nötig, Ihnen in der 
Hauptsache folgendes mitzuteilen: 
Bezüglich des Besuches des russischen Zaren in Racconigi gibt mein 
Gewährsmann zu, daß die Umgehung Österreich-Ungarns auf der Zaren¬ 
reise einen üblen Eindruck auf dem Ballplatz hinterlassen hat. Anderer¬ 
seits sieht man es hier als unumgänglich notwendig an, daß das Ver¬ 
trauen und die guten Beziehungen zwischen Rußland und Österreich- 
Ungarn wiederhergestellt werden. Österreich-Ungarn wird daher an der 
Verbesserung dieser Beziehungen zu Rußland unermüdlich arbeiten. Für 
jetzt aber sind die persönlichen Beziehungen zwischen Iswolski und Graf 
Aehrenthal daran hinderlich. Da jedoch letzterer, allem Anschein nach 
noch lange die Leitung der äußeren Politik Österreich-Ungarns behalten 
wird, so erwartet man hier die Verbesserung der Beziehungen zu Ru߬ 
land von der Demission Iswolskis, von dem auch sonst erzählt wird, daß 
er einen Botschafterposten zu erhalten wünscht. 
Nach dem, was mein Gewährsmann sagt, glaubt man am Ballplatz 
nicht, daß gelegentlich der Zusammenkunft in Racconigi irgendein 
gemeinsamer Plan für die Balkanpolitik zwischen Rußland und Italien 
festgelegt wurde, der auf eine weite Zukunft gerichtet wäre. Am Ball¬ 
platz, sagt mein Gewährsmann, hält man dafür, daß der Gegenstand 
eines Übereinkommens zwischen Rußland und Italien auf dieser Zu¬ 
sammenkunft, nur ihr gemeinsames Bestreben gewesen sein kann, den 
Frieden und den Status quo auf dem Balkan aufrecht zu erhalten. Daher 
steht man, wie mein Gewährsmann sagt, dem Zarenbesuch in Racconigi 
am Ballplatz gleichgültig gegenüber, denn auch Österreich-Ungarn hat 
bei wiederholten Gelegenheiten erklärt, auch nichts anderes zu wün¬ 
schen und keine weiteren Eroberungsabsichten am Balkan zu haben. 
Solange Kaiser Franz Joseph lebt, sagt mein Gewährsmann, ist es absolut 
sicher, daß Österreich-Ungarn nichts weiter am Balkan suchen wird; 
aber nach dem Tode des Kaisers Franz Joseph glaubt der Gewährsmann 
selbst, daß wir auf der Hut sein müßten. In Österreich-Ungarn werde 
man immer vor Augen haben, daß in Serbien die Idee von einer Ver¬ 
einigung des Serbentums besteht und auch weiter bestehen wird. Und 
da weite Landstriche Österreich-Ungarns von serbischen Elementen be¬ 
siedelt sind, so werde die serbische Frage die Köpfe der österreichisch¬ 
ungarischen Politiker unaufhörlich beschäftigen. Ein Beweis dafür sei 
schon die Idee des Trialismus selbst, die Bildung einer dritten süd¬ 
slawischen Ländergruppe in Österreich-Ungarn, und sollte sich diese 
Idee realisieren, dann würde die Frage entstehen, ob Serbien auch weiter¬ 
hin ein selbständiger Staat bleiben könnte. Allein mein Gewährsmann 
selbst muß mir beipflichten, daß sich diese Idee schwerlich auch nur 
in ferner Zukunft realisieren lassen wird, weil Ungarn, Deutsche und 
Slawen sie bekämpfen: Ungarn, weil im Falle der Realisierung dieser 
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