Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Nr. 88. 
Der serbische Gesandte Wesnitsch, Paris, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Pov. br. 67. Paris, den i3./2Ö. März 1909. 
Soeben bin ich vom Ministerium des Äußern zurückgekommen, wo 
ich gemäß Ihrem Wunsche von gestern abend eine längere Unter¬ 
redung mit Herrn Louis hatte. In Ergänzung des Telegramms, das 
ich Ihnen soeben sende, beehre ich mich folgendes hinzuzufügen: Der 
erste Sektionschef im Ministerium des Äußern erklärte mir, daß die 
hiesige Regierung bezüglich der nächsten Zukunft über den öster¬ 
reichisch-serbischen Streit noch nicht beruhigt sei. Wien zaudere noch 
im Hinblick auf die Fassung unserer Note, obwohl er hoffe, daß 
spätestens am Sonntag sich eine Verständigung bezüglich derselben 
werde erzielen lassen. Überhaupt halte er den letzten Tag in diesem 
Monat (den 3i.) für einen kritischen Tag, bis zu welchem man über 
die österreichisch-serbischen Beziehungen, wenigstens in ihrer heu¬ 
tigen Phase, ins Reine kommen müsse, wobei auch er einsieht, daß 
selbst eine günstige Lösung der heutigen Spannung noch viele 
schwierige Fragen zwischen uns und der österreich-ungarischen Mon¬ 
archie zurücklassen werde. — London und Paris arbeiten heute 
ernstlich und mit Hingebung daran, daß uns von seiten Europas 
nicht eine Note aufgezwungen werde, die wir nicht unterzeichnen könn¬ 
ten. Dennoch raten sie, das anzimehmen, was uns vorgeschlagen wer¬ 
den würde, da dieses unzweifelhaft das Höchstmaß des 
unter den heutigen Verhältnissen Erreichbaren dar¬ 
stelle. Ich werde vielleicht die Möglichkeit haben, Ihnen dies mor¬ 
gen gegen sechs Uhr nachmittags mitzuteilen, da ich um fünf Uhr wie¬ 
der eine Zusammenkunft mit ihm habe. — Wie ich indessen bereits 
Gelegenheit hatte, Ihnen mitzuteilen, wird es sich nicht vermeiden lassen, 
daß auch wir die österreichisch-türkische Verständigung über Bosnien 
und die Herzegowina zur Kenntnis nehmen, so wie dies die Signatar¬ 
mächte des Berliner Vertrages getan haben. — Hier hat man nicht die 
Überzeugung, daß Kaiser Wilhelm in Wien im versöhnlichen Sinne 
einwirken wird, wie dies nach seiner letzten Rolle in Petersburg zu er¬ 
warten war. Auch ist die Befürchtung noch nicht ausgeschlossen, daß 
Österreich-Ungarn die Absicht haben könnte, Serbien zu besetzen, gegen 
welche Eventualität die Aktion der Triple-Entente gerichtet ist oder 
genauer, diejenige Englands, mit welchen Frankreich heute ziemlich 
energisch Hand in Hand geht, während Rußland nach dieser seiner 
letzten Demütigung förmlich gelähmt ist, obwohl Herr Nelidow behaup¬ 
tet, daß Iswolski energisch an der Regelung des österreich-serbischen 
Streites arbeite. 
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