Volltext: Der Bucheinband der Romantik

aus „Der Wächter", V. Jahrgang, Juni 1922. 

Der Bucheinband der Romantik/Von Konrad Schiffmann 
Der Bucheinband der Romantik, — ja, gibt 
es so etwas? Diese Frage wird so mancher 
erstaunt stellen, der da weiß, daß das 19. Fahr 
hundert im Kunstgewerbe so gut wie gar 
nichts Originelles hervorgebracht hat. Schon 
im 18. Jahrhundert war die Kunst im Ge 
werbe mählich erstorben, das neunzehnte sah 
kaum noch Überreste. Und während das 
18. Jahrhundert noch überall wenigstens seinen 
eigenen Geschmack gehabt hatte, wenn auch 
einen französischen, so beschränkte sich das 
neunzehnte auf eine mehr oder weniger ge 
schickte Wiedergeburt. Selbst in Frankreich, 
das immer noch, und mehr als je, die Füh 
rung im Geschmack hatte, verrät das Kunst- 
gewerbe jetzt wohl eine gewisse Routine und 
Abwechslung, aber es bewegt sich doch im 
Grunde ohne Originalität nur in den tradi 
tionellen Stilen seiner Vergangenheit! Es ist, 
wie wenn alles Stilgefühl erloschen wäre, 
und was wir Empire- und Biedermeierstil 
nennen, das kann man doch eigentlich nur 
falschverstandene Anwendung früherer Kunst 
formen nennen. Das Empire, die Stilepoche 
des ersten französischen Kaiserreichs, wollte mit 
seinen oft überladenen, immer trockenen Zier 
formen antike Dekorationen nachbilden. Die 
Bucheinbände dieser Zeit weisen überall Motive 
von etruskischen Vasenbildern und pompeja- 
nischen Wandmalereien in Goldpressung aus 
schwarzen oder farbigen Lederschildern aus. 
In der Periode der 30er Jahre, zur Zeit, 
als in Deutschland nach den Befreiungskriegen 
das nationale Hochgefühl seine Feste feierte 
und im Glorienschein der Gegenwart auch die 
fernen Hintergründe einer hochgemuten Ver 
gangenheit aufzuleuchten begannen, versuchte 
man es noch einmal mit einer neuen Richtung, 
mit der Neubelebung der Gotik. Welche Rolle 
jetzt die alten gotischen Dome seit Goethes 
Verherrlichung des Straßburger Münsters in 
immer steigendem Maße im Leben der deutschen 
Volksseele, in Literatur und Kunst neben dem 
Rittertum spielten, wissen wir. In dieser 
Schwärmerei steckt ein gut Teil der deutschen 
Romantik. Wir denken an Hohenschwangau und 
Schwinds „gotische Stadt", vor allem aber 
an Schinkels entzückendes Gemälde „Der Dom". 
Hier hat die Romantik ergreifendsten Aus 
druck gefunden, wie sie überhaupt unter 
allen bildenden Künsten die Malerei am meisten 
und tiefsten beeinflußt hat. Dieser deutsche 
Dom und all die herrliche Gotik des Mittel 
alters hielten nun auch im Kunstgewerbe Ein 
zug, vor allem in der Buchkunst. Man über 
trug Formen der gotischen Kirchenbaukunst auf 
die Einbanddecke, es entstanden die sogenannten 
Verzierungen a 1a cathedrale. In Frankreich 
scheint der romantische Einbandstil aus den 
Pariser Buchbinder Thouvenin (f 1834) 
zurückzugehen, der schon im Empire die reichere 
Handvergoldung nach alten Mustern in guter 
Technik wieder zu Ehren gebracht und im Ove- 
oder Fanfarenstil sogar einen neuen Typ ge 
schaffen hatte. 
Wir kennen von einem seiner Schüler einen 
wundervollen Einband in blauem Kalbleder, mit 
einer reich ornamentierten Platte blind verziert, 
innen Saint-Pierres Paul und Virginie (Paris 
1838). Es ist reinster Kathedralstil: gotische Archi 
tektur in Lederrelies (s. Abb. 1). Die alten Gotiker, 
sagt Loubier, hätten so etwas nie gemacht, 
weil sie sich immer bewußt waren, daß die 
Dekoration der Ledereinbände eine Flächen 
dekoration sei. Eine plastische Verzierung der 
Einbanddecke widerspricht, wenn es sich nicht 
um Bücher handelt, die aufgelegt werden, 
eigentlich dem Zweck eines Buchdeckels: das 
von ihm geschützte Buch dem Gebrauche des 
Benutzers bequem darzubieten und die Auf 
bewahrung des Buches zu erleichtern. Man 
scheint das auch gefühlt zu haben, denn neben 
diesen plastisch dekorierten Einbänden begegnen 
auch solche, die sich mit entsprechender Malerei 
begnügen. Aus derselben Versteigerung in 
Leipzig (1913), die den schönen Thouvenin ver- 
klopfte, waren auch zwei englische Kathedral- 
bände zu sehen, eine Bibel, Oxford 1836, und 
ein Book of Common Prayer (Gebetbuch), 
Oxford 1836. Bemalte Pergamentbände, in 
großen architektonischen Rundbogen eine in 
lebhaftem Farbmosaik ausgeführte religiöse 
Darstellung (s. Abb. 2). 
Am längsten lebte der Kathedralstil der 
Romantik in Deutschland, wo er sich auf den 
fabrikmäßig mit der Maschine hergestellten 
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