Volltext: Die Rainer am Cimone

Sonntag, 21. Mai 1916. 
Die Ruhe, die das I., III. und IV. Baon pflegen kann, 
wird im allgemeinen als wohltätig empfunden und trotz 
dem befriedigt uns dieses tatenlose Leben nicht. Wir ver 
missen den Atem des Krieges, der unser Interesse laufend 
in Fluß hält. In dieser Hinsicht hat es das IV. Baon besser 
getroffen. Es ist Korpsreserve bei Baito Casalena. Die 
Nähe der blutgetränkten Kampftstätten läßt die Erinne 
rung an ruhmreiche Tage immer wieder von neuem auf 
leben. 
Dort, wo noch vor wenigen Tagen ein erbittertes Rin 
gen um den Sieg tobte, steht heute der Train. Er ist 
Meister Luschins Domäne. Ein weit verästeltes, und doch 
klaglos arbeitendes Getriebe, ein Uhrwerk, in welchem 
reibungslos Rad in Rad greift, Tag und Nacht, ununter 
brochen, das ist die Proviantur. Aber Oblt. L u s ch i n 
zeigt sich allen Situationen gewachsen. Er hat ja Erfah 
rungen gesammelt in den wechselvollen Kämpfen des 
Stellungs- und Bewegungskrieges. Was wir in der vor 
dersten Front meist als Selbstverständlichkeit hinnehmen, 
es ist oft nur das Ergebnis seiner Initiative und seiner 
großen Verantwortlichkeit. Heute hat er wenig Zeit für 
uns! Er ist vollauf beschäftigt. Es reicht nur zu einem 
Schnäpschen. 
Wir schauen uns ein wenig um. Ein tolles Treiben! Da 
werden Brote gezählt, dort Weinfässer abgeladen, hier 
Schokolade, Sardinenbüchsen, Speck und sonstige be 
gehrenswerte Dinge in „Fassungen" gruppiert. Dort hinten 
hat sich die Fleischhauerei den Standort für ihr blutiges 
Geschäft erwählt, überall herrscht großes Gedränge. Es 
scheint ein wirres Durcheinander zu sein, und trotzdem 
geht alles wie am Schnürchen. Nach einer Weile setzen 
wir unseren Marsch fort. Aufwärts geht’s, an Zelten vorbei, 
in den Fichtenwald. Allmählich wird es still. Nur hie und 
da dringt das entfernte Geräusch der auf der Straße 
ratternden Wagen an unser Ohr. Unhörbar gleitet unser 
Schritt über die weichen Nadelpolster. Hie und da knistert 
ein Ästchen. Es ist, als gingen wir auf Zehenspitzen, als 
scheuten wir uns, in die weihevolle Stimmung auch nur 
einen leisen Mißton zu bringen. Der Wald wird etwas 
lichter. Die kleinen Waldblößen erleichtern uns die Orien 
tierung. Allmählich finden wir uns wieder in der unüber 
sichtlichen Gegend zurecht, die wir nur aus der Graben-
	        
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