Volltext: Die Rainer am Cimone

Sonntag, den 22. Juli 1916. 
Die 12. Komp, in Stellung auf „Cimone Süd" 
Die gestrige heftige Artillerietätigkeit des Feindes, die 
wir als unverkennbare Vorboten eines großangelegten 
Angriffes deuten müssen, hat mit Einbruch der Dämmerung 
ausgesetzt. Kein Schuß unterbricht die Stille der Nacht. 
Alle Maßnahmen, die wir zur Abwehr eines feindlichen 
Angriffes zu treffen in der Lage sind, können als der Aus 
druck eines unbeugsamen Vernichtungswillens gelten, der 
auch den Einsatz des eigenen Lebens gering achtet. 
Zu den Vorsorgen für eine verstärkte Sicherheit unserer 
Stellung gehört auch die Erkundung des Vorterrains am 
Osthang des Cimonekopfes auf seine Gangbarkeit. Vor 
allem aber ist es uns darum zu tun, festzustellen, ob An 
griffsabsichten des Feindes auch von dort her in Frage 
gezogen werden müssen. Die Meldung der nach Mitter 
nacht einrückenden Patrouille der 12. Komp, könnte uns in 
dieser Hinsicht beruhigen. Es wurde vom Feinde nichts 
bemerkt. 
Der Morgen kam und mit ihm ein prächtiger Tag. Die 
Frühsonne vergoldet das grüne Blätterdach der jungen 
Buchen, die rückwärts der Hauptstellung die flache Mulde 
beschatten. Nun meldet sich auch die feindliche Artillerie 
wieder. Ihr auf den Abschnitt des Cimonekopfes gerich 
tetes Feuer ist als mäßig zu bezeichnen. Unsere Bau 
arbeiten erleiden dadurch auch keine starke Einbuße. 
Ohne Zwischenfall vergeht der Vormittag. Die Beschießung 
hat gegen Mittag ganz aufgehört. Eine fast feierliche Stille 
herrscht ringsum. Kein Lüftchen regt sich. Die Sonne, die 
unterdessen ihren höchsten Stand erreicht hat, brütet auf 
der Landschaft. Die Luft zittert und flimmert. In der er 
schlaffenden Hitze will auch die Bauarbeit nicht recht 
weitergehen. Manch einer sucht sich ein stilles Plätzchen, 
wo er sein Mittagsschläfchen halten will. 
3 Uhr nachmittag! Vier dumpfe Abschüsse aus der 
Richtung des Mte. Cengio! Ein Zischen und Brausen — 
fast gleichzeitig explodiert eine Lage Schrapnells über der 
Mulde rückwärts der Hauptstellung. Kaum hat sich die 
Überraschung der dort tätigen Mannschaften gelegt, als 
sie erneut eine Lage Schrapnells zur Deckung zwingt. Und 
nun sausen sie heran, Granaten aller Kaliber, eine, zwei, 
vieie! Unweit von uns entfernt steigen sie himmelhoch an, 
allmählich erstirbt ihr grausiges Zischen um wieder zu 
kommen. Gedankenschnell verstärkt sich ihr Jaulen zu 
entsetzlichem Brüllen. Heißes Eisen bohrt sich in das Ge 
stein, es zermalmend. Ein Hagel von Eisen- und Gesteins 
trümmern begleitet die furchtbaren Explosionen. Der Ein 
schläge werden immer mehr! Ein Zischen und Heulen, ein 
Jaulen und Schlürfen, ein Splittern und Krachen ist es, 
deren Furchtbarkeit uns bis ins Innerste erschüttert. Die 
Erde erbebt unter den ununterbrochenen Donnerschlägen. 
Trommelfeuer! Rauchsäule neben Rauchsäule. Es ist kein 
Krachen mehr! Ein unaufhörliches Rollen, Donnern und 
Hämmern. Der Boden wankt, scheint ein brodelnder Kessel 
zu sein. Er wogt und dampft. Staub und Rauch verdüstern 
den Himmel. Die Luft wird stickig. Von allen Seiten her 
nähert sich die Vernichtung. 
Und der Mensch? Hinter kleinen Sandsackmauern kauert 
er bleich, ein unscheinbarer, regungsloser Klumpen. Ist er 
tot? Hat ihn bereits das Schicksal erreicht? Nein! Noch 
lebt er! Die Augen scheinen ihm aus den Höhlen zu treten. 
Schweiß klebt an seiner Stirn. Er bemüht sich an nichts zu 
denken, stundenlang. Doch das Jammern und Stöhnen 
todwunder Kameraden mahnt ihn immer wieder an die 
grausige Wirklichkeit. Er hat mit seinem Leben abge 
schlossen, er wartet darauf, bis ihn das nächste Geschoß 
zerschmettert. Und während unsere Posten in einer Sphäre 
furchtbarster Vernichtung ihre Pflicht erfüllen, drängt sich 
in den wenigen Kavernen Mann an Mann. Mancher hat 
seine Auffassung über die rücksichtslose Ausbeutung 
menschlicher Arbeitskraft revidiert. Die Meinung, daß es 
sich auch heute um einen der üblichen Feuerüberfälle 
handelt, trog. Mehr als eine Stunde dauert schon das 
Trommelfeuer und seine Wirkung ist eher gewaltiger ge 
worden. Dumpf hallt es in den Kavernen von den ununter 
brochen aufeinanderfolgenden Einschlägen. Manchmal 
erschüttert sie ein furchtbarer Stoß. Steine bröckeln von 
der Decke, aber sie hält. Die vielfach unbequeme Stellung 
der zusammengepferchten Menschen, ihre Ausdünstung, 
die verbrauchte Luft machen den Aufenthalt in den finsteren 
Kavernen allmählich zu einer Qual. 
Lt. L a u b i ch I e r, dessen 12. Komp, so gruppiert ist, 
daß je ein Zug am Gipfel des Mte. Cimone im Verbin 
dungsgraben in der Hauptstellung und an der Wurzel der 
Valedaschlucht zum Einsatz gebracht werden kann, ge 
winnt auf Grund einiger Meldungen den Eindruck, daß 
der Feldwache, mit der jetzt allerdings jede Verbindung 
unmöglich ist, Gefahr drohe. Er teilt seine Befürchtungen 
Oblt. H a n i ka mit, der hierauf die Besetzung der Haupt 
stellung mit drei Zügen der 2. Komp. Oblt. Tauber an 
ordnet, die in den Kavernen rückwärts der Hauptstellung 
Zuflucht gefunden hatte. Rasch ist die Alarmierung voll 
zogen. In rasendem Tempo eilen nun kleine Gruppen den 
flachen Hang hinauf zur Hauptstellung. Die ganze Natur 
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