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Freitag, 19. Mai.
Es ist spät geworden. Nur ein kleines Stück Schlaf
trennt uns von dem Beginn der Vorbereitungen, die für
den heutigen Tag getroffen werden müssen. Die Angriffs-
Disposition des Regimentes, dessen Führung seit dem Be
ginne der Offensive Mir. S ch a d inne hat, war uns schon
im Laufe des gestrigen Nachmittags bekanntgeworden.
Und jetzt heißt es „schnell" schlafen, denn um 3.45 Uhr
früh ist bereits Tagwache angesetzt. Bald ist die Zeit der
Ruhe vorbei. Ein Hasten und Eilen, Kommandos, Schelt
worte an Säumige sind Merkmale des Beginnes der für
die Gruppierung notwendigen Verschiebungen. Nun ist
es soweit! Das in vorderster Linie befindliche I. Baon
IR. 59 unter dem Kommando des Rttm. Baar hat sich
entlang der Schwarmlinie bis zum Straßenstück südlich
Baiti delle Fratte zu verschieben. Seine Stelle hat zunächst
das II. Baon einzunehmen. Morgendliches Dunkel entzieht
die Umgebung unseren Blicken und erschwert die Orien
tierung. Man hört nur das Klappern aneinanderschlagen
der Ausrüstungsgegenstände und den schweren Tritt der
marschierenden Kolonnen.
Allmählich wird es grau. Alle Anzeichen deuten darauf
hin, daß wir einem herrlichen Tag entgegengehen. Was
wird er bringen?
Plötzlich tönen ungarische Laute an unser Ohr. Wir
haben also den Kampfabschnitt des IR. 50 erreicht, der
im Anschluß an den des Regimentes bis zu den steilen,
zerklüfteten, das Asticotal begrenzenden Abhängen reicht.
An der Straße wird die Gruppierung zum Angriff ange
nommen. Sein Ziel ist die Gewinnung des Raumes um
Malga Melignone, in dem eine Widerstandslinie des
Feindes vermutet wird. Hiezu hat die aus dem I. Baon
IR. 59 und V. Baon IR. 50 gebildete Stoßgruppe als erste
Linie auf dem mäßig ansteigenden nordsüdlich verlaufen
den Rücken vorzugehen, dessen Westhang steil gegen
den Ruabach abfällt.
In einer Entfernung von etwa dreihundert Schritten
gruppiert sich das II. Baon unter Führung des Mjr. B e -
n e s ch hinter dem I. Baon, Mjr. Jonke folgt mit dem
geteilten III. Baon als dritte Linie. Das unter dem Befehl
Oblt. i. d. R. Ho ck stehende linke Halbbaon (9. und
11. Komp.), dem auch die MGA. V zugeteilt wurde, hat
bei der Vorrückung mit seinem linken Flügel entlang der
Straße vorzugehen, die in ihrer Fortsetzung zum Passo
della Vena führt. Das rechte Halbbaon (10. und 12. Komp.)
und die MGA. III haben dem II. Baon zu folgen. Das
IV. Baon unter dem Kommando Hptm. O n 11 s, das
gestern bei Baito Casalena, östlich Osteria Fiorientini als
Korpsreserve ausgeschieden wurde, bleibt dort als Brigade
reserve. Soweit die Disposition!
Die zum Vormarsch bereiten Abteilungen haben sich's
am Waldboden bequem gemacht, denn noch ist der Be
fehl zur Vorrückung nicht erteilt worden. Unser Artillerie
feuer hat bereits eingesetzt, über unseren Köpfen ziehen
die Geschosse schlürfend ihre Bahnen. Kein welscher
Kanonier rührt sich zur Gegenwehr, kein Infanterieschuß
kündet uns einen in der Nähe befindlichen Feind. Und
trotzdem explodieren die eigenen Schrappnells in unserer
unmittelbaren Nähe. Ein paar Batterien beschießen be
harrlich die gegenüberliegende alte italienische Stellung.
Eine Bewegung geht durch die lagernden Truppen,
Der Vorrückungsbefehl scheint eingetroffen zu sein.
Schwerfällig erheben sich die stark bepackten Mann
schaften. Vorwärts! Doch die in erster Linie befindlichen
Abteilungen können nicht weiter! Vor uns, knapp über
den Baumwipfeln krachen die Schrappnells unserer Artil
lerie. Klatschend fahren die Bleikugeln in den Waldboden,
Äste und Zweige fallen zu Boden. Es dauert geraume
Zeit, bis die Brigade den Befehl zur Einstellung des Feuers
geben kann. Mit einer mehr als halbstündigen Verspätung
wird die Vorrückung aufgenommen.
Weit und breit kein Feind! Das in zwei Staffeln vor
gehende I. Baon hat die feindlichen Infanteriestellungen
bereits überschritten und beginnt nun den Rücken empor
zusteigen. Mit wachsendem Interesse verfolgen wir die
Spuren eines hastigen, übereilten Rückzuges. Monturteile,
Ausrüstungsgegenstände und Waffen aller Art, am Boden
zerstreut, kennzeichnen seine Richtung. Hier steht eine
Munitionskarrete. Daneben liegt mit dem Gesicht am Boden
ein toter Italiener, der dem gestern nachmittag einsetzen
den vorbereitenden Feuer unserer Artillerie zum Opfer
fiel. Die Wirkung war verheerend. An drei gut ausge
bauten und maskierten Geschützständen eilen wir vorbei,
jeder durch einen Volltreffer außer Gefecht gesetzt. Ver
lassen stehen die Feldgeschütze in ihren zerschmetterten
Ständen. Ihr flankierendes Feuer hat uns gestern am frühen
Nachmittag peinliche Stunden bereitet. Die Leichen der
am Boden liegenden welschen Kanoniere verstärken den
Eindruck, den das Bild der Verwüstung auf uns ausübt.
Weiter geht’s! Der rechte Flügel der 1. Komp, hat die
Direktion entlang der Abbruchslinie zu nehmen, die von
unserer gestrigen Stellung aus als Felsband erschien. Der
unbewaldete Rand dieses gegen den Ruabach steil ab
fallenden Geländeabbruches läßt den Blick gegen Süden
und Westen frei. Der gestern am Nachmittag von den
Vierzehnern eroberte Coston d’Arsiero liegt zum Greifen