Volltext: Alt-Wiener Kulturbilder [322/323]

Der Brigitten-Kirchtag. 
Der Brigitten⸗-Kirchtag, das große Volksfest in den Auen 
zunächst der Brigitten-Kapelle, glich einem italienischen 
Karnevalsschwanke, nur waren keine Masken zu sehen. Im 
ganzen herrschte aber hier ein so tolles Leben und Treiben, 
daß namentlich Fremde von nah und fern herbeiströmten, um 
die Wiener in ihrer Ausgelassenheit so recht ungeniert be— 
trachten zu können. 
Es wurde hier zurzeit des Festes der heiligen Brigitta 
alljährlich zwei Tage hindurch an einem Sonntag und Mon— 
tag ein wahrer Fastnachtsspuk getrieben. Die Fremden hinzu—⸗ 
gerechnet versammelten sich an beiden Tagen gewiß an 
100.000 Menschen. Der, Sonntag lockte die neren Klassen 
herbei, am Montag kam das bessere Publikum. luf der großen 
Wiese vom „Damm“ angefangen bis zum Jägerhause, eine 
halbe Meile lang, waren Wirtshäuser, Tanzzelte, Lebzelter— 
buden, Schauhütten aufgeschlagen. Man wußte nicht, wo man 
zuerst verweilen sollte. Alle fünf Schritte war ein, anderer 
Gegenstand zu schauen, der sich durch Spaß und Lustigkeit 
auszeichnete. Die Schilder der Wirtshäuser waren wahrhaft 
komisch. Da hieß eines: „Zum letzten Rausch“, das andere: 
„Zum ewigen Durst“, das oritte: „Zur desperaten Plunzen“, 
das vierte: „Zum unsterblichen Knödel“, wieder andere: „ßum 
Stockfisch mit dem Haarzopf“, „Zum Erdapfel in Pantoffeln 
und im Schlafrock“, „Zum Karpfen im Vogelhäusel“, „Zur 
bucklichten Artischocken““„Zum blauen Montag“, „Zum ewigen 
Appetit“ usw. Es gab über Zehntausend Schenken und jede 
suchte sich durch ein anderes burleskes Schild hervorzutun. 
Wo nur immer eine ebene Fläche im Grase zu finden war, 
wurde getanzt. In den Tanzzelten produzierten sich ziemlich 
gute Orchester, sonst aber genügte ein Klarinettist und ein 
Trompeter oder ein Harfenist mit einem Violinspieler, 
meistens eine Drehorgel oder ein Dudelsack. Daneben standen 
die Schauhütten in unabsehbarer Reihe mit Wachsfiguren, 
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