Volltext: Alt-Wiener Kulturbilder [322/323]

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durfte er die Urteile an die sich darum bewerbenden Leute 
verkaufen; diese aber wurden nicht fortgelassen, sondern in 
eine große „Wagenschupfe“ eingesperrt, bis der Turmwächter 
von St. Stephan, der mit einem Fernrohr die Exekution be— 
obachtete, das Zeichen gab, daß der Verbrecher geendet. So— 
bald das „Zügenglöcklein“ ertönte, wurde das große Tor der 
„Wagenschupfe“ geöffnet. Viele hundert Weiber stürmten auf 
die Straße. Diejenigen, welche auf den Richtplatz spekulierten, 
hatten sich leichte Wagen bestellt, auf denen sie nun, so schnell 
als die Pferde laufen konnten, nach der Richtstätte eilten. 
Außer mit dem Verkauf des Todesurteils befaßten sie sich 
auch mit dem Vertrieb eines Liedes, das der arme Sünder 
in seiner Todesangst gedichtet haben mußte, wenn er auch 
dazu weder Lust noch Talent besaß. — Das Selbstbekenntnis 
Lugers und sein reuͤmütiges Lied schrieb ein Herr Bleibtreun, 
ein damals in Wien bekannter Gelegenheitsdichter und 
Privatpoet aller Harfenisten. Lugers Stoßseufzer waren er— 
bärmlich, aber Bleibtreun machte doch ein gutes Geschäft da— 
mit. Er verkaufte am Hinrichtungstage über hundertinusend 
Abdrücke, jeden zu einem Groschen.“ I 
Auf dem Wege, auf dem das Galgenpublikum nach der 
Hinrichtung wieder zur Stadt zurückkehrte, ging es wahrhaft 
lustig her. „Würstel und Bier!“ — „Kletzenmost und Baͤdner 
Kipfell“ — „Frische Schinken und mürbe Brezenl“ schrien 
die Hökerinnen den Vorübergehenden zu. Eine bot „Arme⸗ 
Sünder-Heringe“ an, und als jemand, der einen solchen 
Hering kaufen wollte, abfällig bemerkte: „Diese Heringe sind 
doch gar zu schlecht!“ erwiderte die Hökerin: „Schlecht? — 
Sei der Herr nur nicht übermütig; der Luger-Tonerl hat da— 
von alle Tage gegessen und der Herr wird einmal froh sein, 
wenn er einen solchen Hering in feinen letten drei Tagen zu 
essen kriegtee 
In den Vorstädten Matzleinsdorf, Nikolsdorf, Hungel— 
brunn, Hundstudm, Margareten, — — 
es weder ein Kaffee-, noch Wein⸗ oder Bierhaus, das am 
Hinrichtungstage nicht mit Leuten, die den Unglücklichen 
sterben gesehen, überfüllt gewesen wäre. Hier wurde über 
die Tat des Raubmörders und seine letzte Stunde bis in die 
späte Nacht geschwätt.
	        
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