Volltext: Alt-Wiener Kulturbilder [322/323]

einem Messer in der Hand zu erscheinen hat, um ihren 
Geschwistern Brot aufzuschneiden, was Herrn Werther gar 
so sehr rührt, so kam sie gleich anfangs mit dem Brot und 
dem Messer, und statt seine Liebeserklärung zu erwidern, 
schnitt sie ihm ein Stück Brot ab, was offenbar so viel be— 
sagen wollte, als: „Wir wollen uns zum Fressen gern haben!“ 
Die Hauptdekoration stellte einen Tempel vor. Venus 
und Amor, von Genien umgeben, zierten ihn. Dieser Tempel 
war ein Meisterstück. Die herrliche Zeichnung wurde mit laut— 
schallendem Jubel begrüßt. Aber hier fiel es dem Künstler 
ein, Lotte und Werther noch einmal erscheinen zu lafssen. 
Werther hatte jetzt einen Blumenstrauß in der Hand, der 
wenigstens vier Schuh hoch war. Sie erschien wieder mit dem 
Brot und dem Messer und schnitt große Stücke herab, wahr— 
scheinlich zum Abendbrot im Tempel der Liebe. Werther war 
poetischer. Er hielt ihr unaufhörlich den Strauß unter die 
Nase. Das Publikum hätte gewiß applaudiert, aber vor 
lauter Lachen über diesen Werther und diese Lotte kam es 
nicht dazu. Die Kanonade an jenem Abend muß man in Pest 
gehört haben. — J 
Mit den Raketen war der alte Stuwer außerordentlich 
freigebig. Hie und da eine solche aufsteigen zu lassen, wie es 
so oft nach ihm vorkam, hätte er für eineJ chlecht angebrachte 
Sparsamkeit gehalten. Die Kanonade aber war immer das 
Großartigste Die Erde erbebte unter den Donnerschlägen der 
platzenden Feuerwerkskörper. Es ist keine Übertreibung, 
wenn ich bemerke, daß die Kanonade des ältesten Stuwer 
zwanzigmal so viel Pulver verschossen hat, als die seiner 
beiden Nachkommen. Bei dem Alten kamen die Worte in die 
Mode: Bravo Stuwerl Bei ihm waren sie Ernst, später nur 
Spaß, Indes hatte der jüngste Stuwer auch manches Ver— 
dienst. Die Fallschirmraketen sind seine Erfindung, auch hat 
er die verschiedensten Farbenfeuer auf eine Stufe der Voll— 
kommenheit gebracht, welche die Russen, die ersten Pyro⸗ 
techniker der Welt, nicht erreichen. — 
Ein Feuerwerk war zu jener Zeit und noch bis zum 
Jahre 1848 ein Festtag für die Wiener. Alles drängte sich hin, 
die allerhöchsten, höchsten wie die untersten Personen. Auch 
das Kaiserpaar besuchte die großartigen Feuerwerke des 
alten Stuwer sehr oft. 
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