Volltext: Der Feldzug im Baltikum bis zur zweiten Einnahme von Riga

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Politisches Zwischenspiel 
erkannten und deshalb auch gegenüber den Deutschen eine gemäßigtere 
Haltung einnahmen. Dazwischen stand die schmale Schicht der lettischen 
Intelligenz, die sich im allgemeinen Durcheinander des Zusammenbruchs 
der Regierungsgewalt bemächtigt hatte und nun durch eine verschlagene 
Politik möglichst schnell ihr Ideal einer nach allen Seiten unabhängigen 
Latwija') zu verwirklichen suchte. Dabei neigte der kleinere Teil der 
Minister, an ihrer Spitze der Kriegsminister Sahlit, mehr dazu, sich auf die 
Bolschewisten zu stützen, während die Mehrheit unter dem Ministerpräsi¬ 
denten Ulmanis ihr Ziel mit Hilfe der Entente, insbesondere Englands, 
zu erreichen bemüht war. Es ist eine offene Frage, ob man nicht 
deutscherseits eine wesentlich entgegenkommendere Haltung der lettischen 
Regierung hätte erzwingen können, wenn man Ende März oder in einem 
späteren Augenblick ganz ernsthaft mit der Zurückziehung der deutschen 
Truppen gedroht hätte und, wenn damit kein Erfolg erzielt wurde, mit der 
Räumung auch Ernst gemacht hätte. Da die Entente offenbar keine Lust 
hatte, sich anders als durch Verhandlungen im Baltikum zu betätigen und 
die Bolschewistengefahr für Lettland auch nach der Erreichung der Aa-Linie 
keineswegs beseitigt war, hätten sich Ulmanis und seine Anhänger wohl 
oder übel umstellen müssen, weil sie sich allein unmöglich halten konnten. 
Auch die im Baltikum in erster Linie wirtschaftlich interessierten Engländer 
würden sich die Sache wohl noch einmal überlegt haben, da ein bolsche- 
wisiertes Lettland ihnen nicht erwünscht sein konnte. 
Gegen einen solchen Versuch sprach allerdings die Rücksicht auf die 
Deutschbalten und auf die Siedlungswünsche der Truppe, die gerade 
während des Stillstands eifrig erörtert wurden und für die der Ullmanis- 
Vertrag vom 29. Dezember 1918 und das Landversprechen der baltischen 
Ritterschaft eine rechtliche Unterlage zu bieten schienen. 
Die Entente. 
Die Entente als solche stand im Frühjahr 1919 den Vorgängen im 
Baltikum noch ziemlich uninteressiert gegenüber. Die Franzosen entsandten 
nur gelegentlich Nachrichtenoffiziere nach Kurland. England war in Liban 
durch eine Kommission unter dem Major im Generalstabe Keenan vertreten, 
der sich vor dem Kriege als Holz- und Flachshändler in Pernau betätigt 
hatte. Für ihn und wohl auch für feine Auftraggeber waren, abgesehen von 
der natürlich noch keineswegs abgeklungenen Kriegsstimmung, rein wirt¬ 
schaftliche Gesichtspunkte maßgebend: die im Baltikum selbst vorhandenen 
') Lettland.
	        
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