Volltext: Die politischen Kämpfe um den Frieden (1916 - 1918) und das Deutschtum

Die Richtlinien Czernins 49 
um die Bahn für aussichtsreiche Zweibundverhandlungen mit den West¬ 
mächten freizumachen. 
Das in Homburg am 3. April erfolgte Angebot Czernins, Deutschland 
für die Abtretung Elsaß-LothringenS durch die Überlassung Russisch-Polens 
einschließlich Galiziens zu entschädigen, läßt sich nicht kurzerhand durch 
die Erwägung erklären, daß Desperadopolitik ins Irrationale zu führen 
pflegt. Preußen war 179; durch die dritte polnische Teilung aus einem 
deutschen Territorialstaat zu seinem Schaden ein Völkerstaat wie die 
Donaumonarchie geworden. Das Bismarcksche Kaiserreich hätte sich durch 
Annahme des Angebotes selbst das Todesurteil gesprochen, wenn die Ein¬ 
verleibung auch nur in Gestalt einer Personalunion erfolgt wäre. Man 
muß sich in die Gedankenwelt des politischen Leiters eines Völkerstaates 
versetzen, um zu verstehen, daß Czernin ein für einen Nationalstaat unan¬ 
nehmbares Angebot überhaupt machen konnte. In seiner vor der Kronrat- 
sitzung entstandenen Denkschrift über die polnische Frage stellt er die Be¬ 
hauptung auf, daß „die Jrredenta gar keine Spezialität der österreichisch¬ 
ungarischen Monarchie sei. Die Russen hätten eine Jrredenta in weiterem 
Sinne in Finnland, die Engländer in Irland, die Deutschen im Elsaß und 
in Posen". Wer in dieser Weise die Unterschiede zwischen den überwiegend 
deutschen Reichslanden, Irland und Finnland verkannte, war gewiß nicht 
imstande, zwischen den deutscherseits ins Auge gefaßten Grenzberichtigungen 
mit Eingriffen in fremdes Volkstum und der Angliederung eines ge¬ 
schlossenen fremden Volkskörpers an einen nationalen Staat zu unter¬ 
scheiden. Völlig irrational wurde daö Angebot durch die „Zuwage" Gali¬ 
ziens. Das letzte Wort wird sich hier erst sprechen lassen, wenn daS Protokoll 
der KronratSsitzung vom 22. März der historischen Forschung im Wortlaut 
zugänglich gemacht ist. Die Mitteilungen von Muret und Polzer-Hoditz 
über die 1925 noch nicht bekannte Sitzung genügen nicht. Am 16. März 
hatte Czernin aus Bethmann HollwegS Bereitwilligkeit zu einer völkischen 
elsaß-lothringischen Grenzberichtigung im Austausch gegen das Erzrevier 
von Briey-Longwy geschlossen, daß dieser Reichskanzler sich noch mehr 
abhandeln lassen werde, während er zur Entschädigung der Monarchie 
Ansprüche aus Rumänien bis zum Sereth erhob. In der Kronratssitzung 
suchte er sich für die geplante Friedensoffensive an Kaiser Karl und seinen 
Ministerkollegen einen Rückhalt zu schaffen. Nur von der ganz phantastischen 
„Zuwage" Galiziens scheint noch nicht die Rede gewesen zu sein, aber es 
wäre von Wert zu wissen, wie sich die Konferenz zu Czernins Plan gestellt 
hat. Von Burian, dem hartnäckigen Vertreter der austropolnischen Lösung 
Fester, Politische Kämpfe 
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