Volltext: Alpenkrieg

Der Pfingstsonntag von 1915 sah Oesterreich-Ungarns 
Völker einig wie noch nie. 
6. 
In den ersten Nachmittagsstunden des 23. Mai trägt 
der Draht den Alarmruf: Kriegt bis zu den letzten 
Posten an der Südwestfront. Da und dort sammeln 
Soldaten sich um ihre Führer, hören die Worte des 
Kaisers, die Aufrufe der Generale. 
Arbeitsschweiß glänzt noch in den erhitzten Gesich¬ 
tern, Erde klebt an den Händen. Dann klirren die 
Krampen und Schaufeln, die Aexte und Steinbohrer auf 
einen Haufen zusammen. Das bißdien Werk dieser 
Wochen und Monate ist fertig, muß fertig sein . . . 
Wie merkwürdig, daß nun wirklich Krieg sein sollte 
hier in diesen Ländern, die unantastbar schienen in der 
majestätischen Erhabenheit ihrer Berget War nicht das 
Leben an sich schwer genug, der Kampf gegen Kälte, 
Schnee und Fels nicht so hart, daß es eines ganzen 
Mannes Mut und Entschlossenheit brauchte, um ihn zu 
bestehen? Lohnte es sich überhaupt, das Unmögliche zu 
versuchen und die müden, abgerackerten Leiber einem 
neuen Gegner zu opfern? 
Vier Uhr nachmittags. Zwei Stunden noch! Denn 
diese Kriegserklärung war allen den tobenden Worten 
der letzten Monate widersprechend wie das Mahnschrei¬ 
ben eines Rechtsanwalts abgefaßt. Es hieß darin, daß 
sich Italien erst „ab 6 Uhr abends“ als im Kriegszustand 
mit Oesterreich-Ungarn befindlich erachte. 
Zwei Stunden Zeit also; zwei Stunden lang soll noch 
Friede herrschen in den stillen Alpentälern, in welchen 
eben der letzte Winterschnee zerrinnt. Dann werden 
alle Brücken abgebrochen sein, alle Bande entzwei, die 
die Bewohner der armen Dörfer hüben und drüben 
seit Jahrhunderten verbinden. Niemandsland wird dann 
zwischen den Gipfeln liegen und die Gewalt soll ent¬ 
scheiden, wer Herr sein wird über diesen kargen Boden. 
Nicht überall entlang dem Alpenbogen sind auch die 
Grenzen der Völker und Gefühle so haarscharf gezogen 
wie die „Linie“, an der man den andringenden Feind 
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