Volltext: Alpenkrieg

Schwingen ein? Kommt die Nacht wieder, die eben wich, 
und krallt ihre Fänge in das zuckende Herz? Kommt 
das jähe, kalte Entsetzen, der Sturz ins Bodenlose? 
Aber der große, dunkle Vogel läßt sich fallen, als 
wäre er seiner Ungebundenheit müde. Eine himmel¬ 
anragende Felsnadel ist das Ziel seiner Laune. Un¬ 
beweglich. hockt er, mit lässig hängenden Schwingen, 
den Blick starr auf den brennenden Saum einer fernen 
Bergkette gerichtet. 
Strahlen zucken herauf, blitzende Speere, ins satte 
Blau des Frühlingshimmels geschleudert, und die Son¬ 
nenscheibe erscheint über dem Rand der Welt, sieg¬ 
reich, mit lodernder Uebergewalt, als hübe Gott selbst 
eine ungeheure Monstranz in die atemstille Weihe die¬ 
ses Morgens. 
Der Tag ist da. 
2. 
Heiß und staubig dehnen sich die Straßen der vene¬ 
zianischen Ebene, welk und verstaubt hängen die Blät¬ 
ter an den Hecken. 
Es ist Frühsommer, Ende Mai, aber die jagende 
Hast der Menschen scheint selbst der allmächtigen Natur 
die Zügel entrissen zu haben. Hinter den Hecken arbei¬ 
ten die Bauern noch auf ihren Feldern; die alten, denen 
das Treiben nicht gefällt, die mürrisch werden, wenn 
sie an ihre Höfe denken, auf denen es jetzt von Sol¬ 
daten wimmelt. Aber die Burschen und Mädels drücken 
sich gerne von der Arbeit, hocken an den Straßenrän¬ 
dern, sehen die Marschkolonnen, die endlose Kette der 
Wagen und Karren an sich vorüberziehen. 
Scherzworte fliegen hin und her. Noch ist es früh 
am Tag, da marschiert man gerne. Die Tragtiere tän¬ 
zeln mit ihren Lasten, sie sind ausgeruht und über¬ 
mütig. Aber der Staub über den Straßen wird immer 
dicker, die Hitze drückender. Wenn es gegen Mittag 
geht, lassen Menschen und Tiere die Köpfe hängen. 
„Heda, wohin?" 
Ein Fluch, eine müde Geste nach den Bergen, die 
silbergrau am Rand der Ebene aufragen. 
„Wird Krieg sein?" 
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