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Gelegenheit, sich in ihrem Berufe oder bei sonstiger Arbeit zu betätigen. Fast in jedem Lager 
wurde auch Gesang und Musik betrieben und bot dies sowohl den Übenden als auch den Zu¬ 
hörern eine angenehme Zerstreuung. Auch die Gottesdienste wurden durch Gesang und Musik 
feierlicher und erbaulicher gestaltet. Zeitweise wurden Konzerte gegeben, die, allen Geschmacks¬ 
richtungen Rechnung tragend, klassische und leichte Musik brachten. Wir hatten im Lager ein 
Streichquartett, das wirklich künstlerische Leistungen aufzuweisen hatte und an die beste heimische 
Kammermusik erinnerte, und mit welchem Gefühl lauschte man den feschen, lieben Walzern aus 
bekannten Operetten, hörte Volkslieder und Gassenhauer, die an daheim verlebte fröhliche und 
lustige Stunden erinnerten. Oft wurden dabei die Augen naß und man sah es manchem an 
dem Gesichte ab, welche Gedanken bei dem Klange dieser heimatlichen Lieder durch seinen Kopf 
gingen und wie sie das Herz bewegten. Es gab unter den Kriegsgefangenen auch ganz gediegene 
Gebäude der Kriegsgefangenen in Krasnaja-Rjetfchka, Sibirien (Ostasien), 1914/15. 
Komponisten, die nicht nur Konzertstücke und Lieder, sondern auch Opern und Kirchenmusik 
schrieben. Erwähnenswert erscheint noch der Umstand, daß viele Instrumente von den Kriegs¬ 
gefangenen selbst erzeugt wurden. Violinen, Mandolinen, Gitarren, Zimbale, ja sogar Baßgeigen 
waren oft Eigenbau. Und die Kapellmeister und Regenschori mußten die einzelnen Partituren 
selbst schreiben. Außer der geistigen Beschäftigung wurde aber auch für die physische Tätigkeit 
gesorgt, um halbwegs gesund zu bleiben, denn die ewigen, monotonen Rundgänge im Hofe, um 
das mit 3 m hohen Planken und Stacheldraht eingefriedete Gebäude, reichten für die Körper¬ 
bewegung nicht aus. So wurde im ersten Sommer der Kriegsgefangenschaft mit emsigem Fleiße 
aus dem Lagerhofe alles Wurzelwerk der mitunter uralten Bäume ausgerodet, eine Arbeit, die 
fast drei Monate dauerte und zu welcher alle Werkzeuge aus eigenem beschafft werden mußten. 
Erst dann konnte an die Anlage von Tennis-, Turn- und Fußballplätzen sowie von 
Kegelbahnen und Gartenanlagen geschritten werden. Die Erträgnisse der Gemüsegärten waren 
namentlich zur Kostaufbesserung von wesentlicher Bedeutung. Aber auch die Blumenkultur erfreute 
Herz und Auge in den sonst so kahlen und schmucklosen Lagerhöfen. Die Vegetation war in 
Ostsibirien erstaunlich üppig. Zierpflanzen, die bei uns nur in Blumentöpfen gezogen werden, 
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