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Roten Kreuzes keinerlei Liebesgaben gespendet werden. Mit halbverheilten Wunden wurden wir 
dann nach Moskau transportiert. Dort stand ein Posten mit geladenem Gewehre in unserem 
Zimmer und niemand durfte zu den Mahlzeiten ein Besteck erhalten, da angeblich ein Deutscher 
irgendwo eine Krankenschwester mit dem Messer attackiert haben sollte. 
Noch auf zwei Stöcken hinkend, wurde ich dann nach Sibirien abgeschoben und mußte 
den weiten Weg zur Bahn zu Fuß zurücklegen, bewacht von zwei Soldaten mit schußbereiter 
Waffe. Am Bahnhof brachte man mich in eine kalte, zugige Arbeiterschwemnie, ließ mich dort 
unter dem Spott und Hohn des hundertköpfigen Gesindels 4 Stunden warten, wonach ein 
französisch sprechender russischer Offizier erschien, dem ich mich als Stabsoffizier vorstellte und 
um menschliche Behandlung ersuchte. Er eröffnete mir hierauf, daß er die ganze Welt bereist 
habe und auch in Wien war, mir aber nicht helfen könne, denn er verfüge nicht über andere 
Räume und tröstete mich mit dem Ausruf „o'sst la §usrrsl". Zu Mittag setzte man mir ein 
auf ein Holz gespießtes Stück kaltes Fleisch und in einer schmutzigen irdenen Schüssel mit einem 
alten Holzlöffel Krautsuppe vor. Endlich am Abend steckte man mich in einen Waggon 3. Klasse, 
wo ich 2 Tage auf einen anderen Verwundetentransport wartete. Mit diesem Zuge ging's nun 
über Jwanowo —Omsk—Irkutsk—Nikolsk-Usfurisk bis Krasnaja-Rjetschka, das in 29tägiger 
Fahrt in einem Waggon 4. Klasse erreicht wurde. Reisegebühren, auf. die wir täglich Anspruch 
hatten, wurden uns nur alle 14 Tage ausgezahlt, und da mit jedem Gouvernementswechsel andere 
Transportkommandantcn kamen, verschwanden die vorhergehenden immer mit unseren nichtaus- 
gezahlten Gebühren, dafür hatte jeder Transportkommandant ein Weibsbild bei sich und zechte 
die ganzen Nächte in seinem für uns unbetretbaren Extracoups und ließ sich wohl auch tage¬ 
lang nicht sehen. 
In Jwanowo wurden wir in zwei vollkommen uneingerichtete und ohne Streustroh 
versehene Zimmer gepfropft, mußten daher am bloßen Boden liegen und erhielten beim 
Empfang einen schmutzigen Blechkübel mit grauer, undefinierbarer Fischsuppe vorgesetzt, hiezu 
eine Anzahl alter Holzlöffel. Unser Ansuchen, an den dortigen Obersten und Kommandanten 
der Kriegsgefangenentransporte, um Streustroh wurde mit dem Hinweis abgewiesen, sie 
hätten keines. 
Auf der Fahrt durch Sibirien durften wir nur in vier Stationen gemeinschaftlich 
Restaurants besuchen, um uns mit warmen Speisen zu verpflegen. Unsere Zahl wuchs durch 
Anschluß anderer Transporte schließlich auf 150 Offiziere und einige tausend Mann an, was 
jedoch niemanden veranlaßte, etwas für die Verpflegung zu unternehmen, so daß die Mann¬ 
schaft oft durch 3 bis 4 Tage nichts zu essen bekam und wir nur kalte Speisen kaufen konnten, 
welche die Landbevölkerung auf die Stationen brachte. Bei Massenabspeisungen durften aber 
auch wir nur den Raum für das Chinesenvolk betreten. Oftmals wurden Offiziere aus den 
Restaurationen in gröbster Art hinausgewiesen. Unter diesen Drangsalen erreichten wir endlich 
Nikolsk-Usfurisk, wo abermals ein 14tägiger Halt gemacht wurde. Dort war man von unserer 
Ankunft gar nicht verständigt und dementsprechend war unsere Unterkunft — eine total ver¬ 
schmutzte Mannschaftskaserne — in die wir nach vielstündigem Warten getrieben wurden. Dort 
schliefen die Herren zum Teil auf Pritschen, ausgehängten Türen und am Asphaltboden. 
Aber auch die Zeit verging und wir erreichten endlich, nach weiterer zweitägiger Fahrt, 
unser Endziel Krasnaja-Rjetschka. Was uns hier erwartete, war kein tröstlicheres Bild. 
In einer Artilleriewerkstätte untergebracht, fanden wir auch dort anfänglich nur ein 
Pritschenkavalett ohne Strohsack und ein Stockerl. -Bei einer Temperatur von — 28° suchte 
ich unter dem Schnee abgetrocknetes Gras, um mir einen Kopfpolster zu improvisieren, den ich 
aus meinem Rucksack herstellte. Nach einigen Tagen durften wir uns auf eigene Kosten Matratzen 
kaufen, doch brachte ich es die ganzen 3 Jahre weder zu einem Leintuch noch zu einem Polfier¬ 
überzug. Mein mit Heu gefüllter Schlafsack und Rucksack waren meine treuesten Freunde und 
versetzten mich hie und da, in den kummervollsten Stunden, im Traume in meine liebe Heimat. 
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