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fällen litt, entlang der ganzen Rückzugsstraße Latrinen graben? Wie fällte man Wasser kochen, 
da, wegen des stets hart nachdrängenden Feindes, nie ein Feuer gemacht werden konnte? Wie 
sollte sich der Mann, der Tag und Nacht marschierte und vielleicht nur ein paar Stunden im 
Straßengrabenschmutze Ruhe hatte, reinigen? Wer sollte verhüten, daß von den vielen, die 
infolge des Marsches und des krankhaften Flüssigkeitsverlustes brennenden Durst litten, doch der 
eine oder andere aus einer verseuchten Pfütze trank? Wer hätte verwehren können, daß Leute, 
die tagelang keine Verpflegung erhielten, gierig nach Zwetschken und Birnen griffen, die sich 
gerade dem Blicke boten, oder mit den Pferden um die Wette die rohen Krautstengel, Erdäpfel 
und Rüben aus der Erde zogen und so aßen? Wer da glaubt, .er hätte dies verhindern können, 
der hat den Hunger nie kennen gelernt. Für die Behandlung der Ruhr stand uns nur die be¬ 
rühmte Opiumtinktur zur Verfügung, von der jedes Baon etwa 400 g besaß. Abgesehen davon, 
daß diese Tinktur sowieso die Ruhr nicht beeinflußt, waren wir mit unserer Heilmittelmenge 
bald fertig. Jede andere Behandlung war uns verschlossen, da wir im schweren Rückzug waren. 
Als wir den San überschritten hatten, setzte während des weiteren Rückzuges eine 
ziemlich geordnete Verpflegung ein. Die Abschubverhältnisse wurden günstiger und so brachten 
wir doch die schwersten Ruhrfälle fort. Es gab Quartiere, da wir nicht mehr die Russen so sehr auf 
den Fersen hatten, die Lente sahen Berge und in ihrem alpenländischen Selbstvertrauen meinten 
sie, in bergigem Terrain kenne sich der Russe nicht aus, während wir ja in den Bergen einfach 
Meister seien. Das hob Moral und Humor der Leute, die besten Bundesgenossen des Gesund¬ 
heitszustandes einer Truppe. Aber da es Tag für Tag leere Suppe und Rindfleisch gab, über¬ 
fiel bald die entkräftete Mannschaft eine neue Krankheit, der Skorbut. 
So kamen wir also Mitte September mit zwei Krankheiten, Ruhr und Skorbut, in das 
Retablierungsquartier nach Suchowa. Daß jetzt erst der Truppenarzt so recht eingreifen konnte, um 
die Krankheiten zu bekämpfen, ist klar. Der Skorbut machte ja keine Schwierigkeit. Üppige Kost 
wurde reichlich verabfolgt, die Ruhe und das Quartier taten das übrige und die Krankheit 
verschwand. Anders lag die Sache bei der Ruhr. Da verfielen wir in jenen Fehler, von dem 
wohl alle aufrichtigen Truppenärzte zu Beginn des Krieges zu erzählen wissen: wir beugten 
unsere medizinische Erkenntnis zu sehr vor den militärischen Wünschen. Wir hatten unstreitig 
eine Ruhrepidemie, und da wäre cs angezeigt gewesen, jeden Ruhrverdächtigen sofort einem 
Epidemiespital zu überstellen. Zunächst wäre das Regiment an sich so am raschesten ruhrfrei 
geworden und dann wären auch die Erkrankten so am schnellsten wieder als brauchbare Soldaten 
eingerückt. Dieser medizinischen Erkenntnis stand der militärische Wunsch entgegen, die Stände 
nicht zu verkleinern, um mehr Plänkler pro Kompagnie zu haben. Um also den ,.Rapport" nicht 
zu belasten, gaben wir leichtere Ruhrfälle nicht ab und behielten so stets Infektionsquellen. Als 
wir also zu Beginn des Oktober den Vormarsch wieder antraten, marschierte auch die Ruhr mit 
uns. Aber trotz dieses Fehlers, den ich unumwunden eingestehe, waren die Tage von Suchowa 
für die Entwicklung des Sanitätsdienstes beim Infanterieregiment 14 segensvoll. 
Es ist das unleugbare Verdienst des damaligen Regimentschefarztes Dr. Kraft, der 
über eine bewundernswerte Energie und Organisationsgabe verfügte, allmählich beim In¬ 
fanterieregiment 14 einen Sanitätsdienst geschaffen zu haben, der oft sehr von den Vorschriften 
des Reglements abwich, aber in seinen Leistungen seinesgleichen in der Armee suchen konnte. 
Daß manches Geschaffene eventuell einer späteren besseren Erkenntnis weichen mußte, schmälert 
sein Verdienst nicht. 
Als wir am 8. Oktober wieder bei Kamien ins Gefecht traten, hätte uns unter keinen 
Umständen das Verbandmaterial ausgehen können, da wir schon einen ganzen Wagen voll beim 
eigenen Gefechtstrain in der Reserve hatten. Auch die Verpflegung der Verwundeten war ge¬ 
währleistet, da die Stabsküche Befehl hatte, im Bedarfsfälle für den Hilfsplatz zu kochen. Als 
ganz selbstverständlich hatten wir schon einen tüchtigen Unteroffizier beim Regimentskommando 
als Hilfsplatzverbindung. Dr. Kraft hatte es durchgesetzt, daß mit der Divisionsabfertigung 
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