Volltext: I R 14

Sinne zerfielen, die Angst vor dem ewig Ungewissen die Seelen zerquälte, die jagende Hast 
um das Zuvorkommen das Blut in unerhörten Stößen durch den vor Erregung zitternden 
Körper jagte. 
Zum Troglodhten wurde der Mensch; langsam wurde das Unnatürliche zur Gewohn¬ 
heit. Aus ihr entsprang das Bedürfnis und die Kunst der Anpassung. Nicht allzulange dauerte 
es und die triefenden, lichtlosen Räume der Felsgäuge wurden zu primitiven, aber immerhin 
erträglichen Wohnräumen ausgestattet. 
So wuchs denn der Krieg im Gebirge zu einem großen, neuen Problem. Weit über 
den Rahmen historischer Erfahrung hinausreichend, zwang das neue Dasein — die unerhörten 
Bedingungen der Existenz und des Kampfes — althergebrachte Bahnen zu verlassen und neue 
entsprechendere aufzusuchen. 
Vieles wirkte hemmend, verzögernd, vieles wurde als achtlos unterschätzt — aber 
trotzdem gelang es neuen Erkenntnissen, sich im Laufe der Zeit durchzuringen und in die Tat 
umzusetzen. 
Das ewige Gesetz: Wo ein Wille, dort ist ein Weg, hat auch hier seine ganze Geltung 
behalten. Und der alpine Soldat, der als Erstersteiger in Durchführung einer früher unmöglich 
gehaltenen Begehung, durch eine Wand, 
über einen Grat, sich Pfad und Weg 
schuf, er ist nur das Einzelbeispiel für 
die Arbeit von Millionen. 
Das Unglaubliche war zur Wahr¬ 
heit geworden. 
Hatte man zu Kriegsbeginn die 
Möglichkeit eines Winterfeldzuges über¬ 
haupt glatt zurückgewiesen, so hielt man 
es später geradezu für einen Widersinn, 
auch nur mit einer einjährigen Winter¬ 
kampagne ans den Bergen Südtirols 
zu rechnen. 
Obll. Dr. Rudolf Freiherr v. Saar, Regiments-Telephonoffizfer, später alpiner lin!) bocf) ûiÜCÎte es _ CllÜcftC es 
Referent des II. A. ft. in Trient. / y J . 
besser und leichter, als es den Anschein 
hatte. Warum? Dieses psychologische Problem — um. ein solches allein handelt es sich auch 
hier nur — zu lösen, traue ich mich nicht. Aber eines ist sicher! 
Biel hat zur Linderung aller Not, aller Strapazen und Anforderungen das ewig Wech¬ 
selnde, Neue, Anziehende des Gebirgslandes wohl für alle gehabt; das drückende, bleierne Lasten 
der endlos gedehnten Sarmatischen Ebene mit ihrem stumpfen, stieren, ewig gleichbleibenden Aus¬ 
druck, mit ihrer hypnotischen Gewalt, alles in ihren traurigen, düsteren Bann zu ziehen, entfiel. 
Da war der Sturm, der über die Höhen pfiff; der weite, schrankenlose Blick, der ent¬ 
fesselt über unbegrenzte Länder irrte; da war der köstliche, taufrische Bergmorgen, der farben¬ 
satte, glühende Spätabend, da waren die tausend und abertausend Gestalten und Formen der 
Berge, das weiche Auf- und Abgleiten, das jähe Aufspringen, Aufschließen, da war das Meer 
der Gletscher, das Farbenkleid des sprühenden Felsens; da war Trotz und Hochmut, gepaart 
mit Weiche und Milde, da war das nimmerendende Wunderspiel ewiger Naturgewalten und 
-erscheinungen, die allein dem Einfachsten Stunden der Sammlung, der Erholung, Stunden 
der Ruhe und des Bergessens brachten. 
Die Berge selbst gaben ihr Bestes und wir — wer will es bezweifeln — nahmen, 
nahmen mit vollen Händen. 
So wurde das unerhörte Ringen fern von menschlicher Behausung, dieser trotzige 
Kampf in Wüste und Einsamkeit, das große Ereignis, das, weit die schrecklichsten Bilder und 
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