Nach einer zweistündigen Rast ertönte der Aufbruchbefehl. Auf einer staubigen Land¬
straße marschierten wir, diesmal ohne Blumen und Musik, unter den sengenden Strahlen der
Mittagsonne, nach Mezzolombardo, wo unser Etappenquartier zum Beziehen bereit stand.
MkWlomlisrdo, 9. bis 27. Juli.
Schwül und drückend,
Sinnberückend,
Herzbetäubend,
Giererzeugend,
Weibisch machend,
Sündelachend,
Lust begehrend,
Mark verzehrend.
Wirkt des Südens blauer Dom!...
Doch viel klarer,
Heller, wahrer.
Wunderbarer,
Leiderlösend,
Schmerzgenesend,
Unschuldsreiner
Deucht mir meiner
Heißgeliebten
Heimat, heil'ger Himmelsthron!
Kennt ihr das Land, wo der leuchtende Sonnenball sengender auf eure
Nacken brennt, der feurige, blutrote Saft der Reben die Leidenschaften und Begierden nährt;
wo die Schatten der Zypressenhaine die Bergeshänge in tiefgrünen Farben erscheinen lassen,
wo der Übergang von Tag
in Nacht, die Dämmerung,
mit Windeseile in die Ver¬
gangenheit flieht, wo sonn¬
gebräunte Gesichter, mit ewig
sehnsüchtigen, nachtschwarzen
Augen, in denen oft ein un¬
heimliches Leuchten flackert,
euch mit fragendem Ernst und
dann wieder in wilder Gier betrachten . . .? In Südtirol, so nahe dem heißen Land der
Schönheit, Leidenschaft und Liebe, da lernt man das Träumen wieder. Tausendmal schöner
ist es hier als in unserem kalten, nüchternen Lenzia!
Um ein herrliches Tal, in dem Totenruhe und Frieden herrscht, türmen sich wild¬
romantisch Felsen über Felsen auf und darüber schimmert der dunkle Azur des südlichen Himmels.
In diesem, von dem eisigen Wasser der Noce durchschlungenen Talkessel, liegen am rechten Ufer
derselben, am Abfalle des Nonsberges in das Etschtal, die wenigen Häuser des Marktfleckens
Mezzolombardo. Schmutzig, verwahrlost und ungeordnet bilden sie besonders im nördlichen
Marktteil, wunderhübsche, malerische Straßenbilder.
Abends, wenn die dörrende Hitze des Tages einer erfrischenden Kühle gewichen ist,
balgen und tollen halbnackte Kinder, deren Hände und Füße vor Kot starren, im Staube der
Gassen, lungern faule, bunt aber ärmlich bekleidete, bildschöne, frühreife Mädels, Männer mit
olivbraunen Gesichtern, die von schwarzem oder schneeweißem Haar umrahmt sind, Weiber, die
mit bloßgelegten Brüsten den Durst der Jüngsten stillen, auf den Steinstufen vor den Türen
ihrer ärmlichen Wohnstätten.
Zerlumpte Spingatore treiben prächtiges Vieh mit rauhen, ausgeschrieenen Stimmen
durch die Straßen. „Avanti! Avanti!" Knallend sausen die Peitschen der Treiber auf die fetten
Lenden der Tiere. Tänzelnd und immerfort schreiend, bietet ein alter verkrüppelter Mercante
Ansichtskarten und Papierwaren zum Verkauf. Hunde, Katzen, Ferkel und Hühner wimmeln
scheulos unter den Menschen.
So lebhaft und bunt die Straßenbilder nach Sonnenuntergang sind, so leblos und
öde sind sie während des Tages.
Höhlen gebannt.
Die drückende Sonnenhitze hält alle Einwohner in ihre
320