Volltext: I R 14

Nach einer zweistündigen Rast ertönte der Aufbruchbefehl. Auf einer staubigen Land¬ 
straße marschierten wir, diesmal ohne Blumen und Musik, unter den sengenden Strahlen der 
Mittagsonne, nach Mezzolombardo, wo unser Etappenquartier zum Beziehen bereit stand. 
MkWlomlisrdo, 9. bis 27. Juli. 
Schwül und drückend, 
Sinnberückend, 
Herzbetäubend, 
Giererzeugend, 
Weibisch machend, 
Sündelachend, 
Lust begehrend, 
Mark verzehrend. 
Wirkt des Südens blauer Dom!... 
Doch viel klarer, 
Heller, wahrer. 
Wunderbarer, 
Leiderlösend, 
Schmerzgenesend, 
Unschuldsreiner 
Deucht mir meiner 
Heißgeliebten 
Heimat, heil'ger Himmelsthron! 
Kennt ihr das Land, wo der leuchtende Sonnenball sengender auf eure 
Nacken brennt, der feurige, blutrote Saft der Reben die Leidenschaften und Begierden nährt; 
wo die Schatten der Zypressenhaine die Bergeshänge in tiefgrünen Farben erscheinen lassen, 
wo der Übergang von Tag 
in Nacht, die Dämmerung, 
mit Windeseile in die Ver¬ 
gangenheit flieht, wo sonn¬ 
gebräunte Gesichter, mit ewig 
sehnsüchtigen, nachtschwarzen 
Augen, in denen oft ein un¬ 
heimliches Leuchten flackert, 
euch mit fragendem Ernst und 
dann wieder in wilder Gier betrachten . . .? In Südtirol, so nahe dem heißen Land der 
Schönheit, Leidenschaft und Liebe, da lernt man das Träumen wieder. Tausendmal schöner 
ist es hier als in unserem kalten, nüchternen Lenzia! 
Um ein herrliches Tal, in dem Totenruhe und Frieden herrscht, türmen sich wild¬ 
romantisch Felsen über Felsen auf und darüber schimmert der dunkle Azur des südlichen Himmels. 
In diesem, von dem eisigen Wasser der Noce durchschlungenen Talkessel, liegen am rechten Ufer 
derselben, am Abfalle des Nonsberges in das Etschtal, die wenigen Häuser des Marktfleckens 
Mezzolombardo. Schmutzig, verwahrlost und ungeordnet bilden sie besonders im nördlichen 
Marktteil, wunderhübsche, malerische Straßenbilder. 
Abends, wenn die dörrende Hitze des Tages einer erfrischenden Kühle gewichen ist, 
balgen und tollen halbnackte Kinder, deren Hände und Füße vor Kot starren, im Staube der 
Gassen, lungern faule, bunt aber ärmlich bekleidete, bildschöne, frühreife Mädels, Männer mit 
olivbraunen Gesichtern, die von schwarzem oder schneeweißem Haar umrahmt sind, Weiber, die 
mit bloßgelegten Brüsten den Durst der Jüngsten stillen, auf den Steinstufen vor den Türen 
ihrer ärmlichen Wohnstätten. 
Zerlumpte Spingatore treiben prächtiges Vieh mit rauhen, ausgeschrieenen Stimmen 
durch die Straßen. „Avanti! Avanti!" Knallend sausen die Peitschen der Treiber auf die fetten 
Lenden der Tiere. Tänzelnd und immerfort schreiend, bietet ein alter verkrüppelter Mercante 
Ansichtskarten und Papierwaren zum Verkauf. Hunde, Katzen, Ferkel und Hühner wimmeln 
scheulos unter den Menschen. 
So lebhaft und bunt die Straßenbilder nach Sonnenuntergang sind, so leblos und 
öde sind sie während des Tages. 
Höhlen gebannt. 
Die drückende Sonnenhitze hält alle Einwohner in ihre 
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