erkennt. Es regnet Eisenstücke, rechts, links prasseln sie nieder, am Kopse sausen sie vorbei,
es pfeift und zischt, wühlt die Erde auf — deren Staub verfinstert den schönen sonnigen Tag
und legt sich auf die schweratmenden Lungen. Jetzt sind wir mitten drin. Hinter mir ruft
der Tambour: „Mich hat's 'troffen!" und ich sehe, wie er ans Knie greift und dann gemächlich
ein Platzerl zum Niederlegen sucht. Wir eilen vorwärts. Nach wenigen Schritten eine schallende
Explosion knapp über uns. Der Feldwebel rechts von mir schreit ans, ich selbst fühle einen
heftigen Schlag am linken Fuß, falle — erwache, am Boden liegend, greife nach dem Fuß,
der so unzart von einem Schrapnellsprengstück berührt worden war, probiere aufzustehen, na,
es schmerzt, aber es geht und humple rasch den Meinen nach.
Der Höllentanz wird immer ärger. Von allen Seiten pfaucht und pfeift es. Da
kommen wir vor eine Straße, die wie ein weißes Band durch die Felder zieht. Am Straßen¬
rand ein Kreuz, von zwei schönen Linden flankiert. Achtung! Laufschritt hinüber! Nieder!
Und schon donnert es daher, mitten auf die Straße, knapp vor dem Kreuz. Ein Hagel von
Eisen, Steinen und Erdstücken, in eine mächtige Staubwolke gehüllt, geht über uns hinweg.
Wir hatten rechtzeitig in einer Ackerfurche jenseits der Chaussee Deckung gefunden. Das waren
gut gezielte Granaten. Die Stelle vor dem Kreuz war tief aufgerissen, eine der Linden auf
halbe Höhe gekürzt und völlig zersplittert.
Neben uns lagen Kaiserjäger mit ihrem Hauptmann. Jetzt platzte wieder Schrapnell
auf Schrapnell über uns. Rechts, links ein Aufschrei. Der Kaiserjäger-Hauptmann greift nach
seiner rechten Brustseite, öffnet die Bluse, Blut rieselt ihm auf die Hand — er ruft seine» Leutnant,
übergibt ihm die Kompagniegelder — wir stürmen wieder vorwärts — die Jäger mit uns.
Das feindliche Artilleriefeuer wird schwächer. Eine verlassene russische tiefe Erddeckung,
in der einige Tote und Schwerverletzte zusammengekauert liegen, wird übersprungen. Die
vorderste Linie ist, einige hundert Schritte vor uns, schon wieder im Feuer mit der neuen rus¬
sischen Stellung am Rande eines Waldes, und unsere Köpfe umtanzt jetzt das hvchklingende
Pfeifen der Jnfanteriegeschosse. Die schießen ja viel zu hoch, hört man bald aus den Reihen
der Leute — im Vorgehen zündet gar bald der eine und der andere seine Pfeife oder Zigarette
an und greift nur fester danach, wenn wieder die Schrapnells in unserer Nähe Opfer suchen.
In einer Deckung kurze Atempause. Den Trieder heraus. Oho! Halblinks auf zirka
1000 Schritte drei feindliche Geschütze und vier Munitionswagen von ihrer Bedienung verlassen.
Also ausgetobt! Das freut alle. Ein zufriedenes Lächeln geht über die glühenden Gesichter unserer
braven Hessen. Schon wollen sie wieder vorwärts — „Ich möcht' Haar in der Hand haben!" ruft
ein langer Gefreiter. Halt! Gradaus ist der Gegner im Wald und da ist Vorsicht notwendig.
Aus dem rechten Teil des Waldes wird das Knattern mehrerer feindlicher Maschinengewehre
hörbar und um uns pfeifen Unmengen feindlicher Geschosse. Bravo! jetzt donnert unsere Artillerie
in den Wald, die wird den Weg ein wenig gangbar machen. Nur zuwarten. Jeder schaufelt eine
kleine Deckung aus der Erde, das eigene und feindliche Feuer wird immer stärker und hagel¬
dicht fliegen die Geschosse. Hie und da kommen auch noch einige Schrapnells von weiter rück¬
wärts stehenden feindlichen Batterien, aber mit ihrer Treffsicherheit ist es schon vorbei.
Das Maschinengewehrfeuer wird schwächer. Vorwärts! — Schießen! 500 — ein
lebhaftes Geknatter setzt ein. — Da plötzlich ein Hurra! aus allen Kehlen, Hornisten und
Tamboure geben das Sturmsignal und losgelassen sind die schwarzen Hessen. Ein scharfes
Feuer empfängt sie aus dem Walde, doch unaufhalisam geht es vorwärts. Als sie zu den russischen
Deckungen kommen, sind diese schon verlassen. Verwundete, Tote sind zurückgeblieben und jene,
die statt zu flüchten vorzogen die Hgnde hochzuheben, sind gefangen.
Der Abend ist angebrochen und verhüllt das Schlachtfeld. Die Truppen werden ge¬
sammelt. Weithin hört man rufen: „Bierzehner, Kaiserjäger, Siebenerjäger-Helle Sieges-
srende auf allen Gesichtern. Jeder erzählt von dem Erlebten und keiner scheint daran zu denken,
daß er seit halb 4 Uhr früh nichts zu effeu hatte.
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