Volltext: Unsere Volkssagen und ihre Bedeutung für die Heimatkunde

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erklärte man sich das oft plötzliche Auftreten verderblicher 
todbringender Krankheiten? Durch unsichtbare Pfeile, die 
von bösen Geistern auf die Menschen abgeschossen wurden. 
Der Name „H e x e n s ch u ß" erinnert noch an jene Vor 
stellung und die Verehrung des durch Pfeilschüsse zu Tode 
gemarterten hl. Sebastian geht auf nichts anderes zurück, 
wie ja auch in keinem der alten Pestanhängsel, „Bre- 
verl" genannt (vom lateinischen „breve", kurz), der Se 
bastianspfeil fehlt. Einen der alten Heidengötter, der mit 
einem Köcher voll Pfeile und einem Bogen ausgestattet 
ist, verehrt man sogar heute noch, nicht nur auf dem Lande, 
sondern auch in den gebildeten Stadtkreisen. Er ist sogar 
ein sehr gefährlicher Gott, da er zudem blind ist, daher 
ferne Pfeile ganz wahllos schleudert und nur zu oft an 
sonst gesunde Menschen plötzlich trifft, daß sie rettungslos 
verloren sind. So ein Jäger, freilich etwas anderer Art, 
war auch Wodan. Er galt als Seelenjäger und als sol 
chem gehörten ihm vor allem die in der Schlacht gefallenen 
Krieger. Sie blieben unbeerdigt, und während ihre See 
len in Wodans Reich eingingen, wurden ihre Leiber die 
Beute der Raben, Wölfe und wilden Hunde, der ältest be 
kannten Aastiere. Daher diese drei Wodan als Begleit 
tiere beigegeben sind, wie sie ja auch in den Sagen dem 
wilden Jäger auf seinem nächtlichen Zuge als Gefolgschaft 
dienen. 
Außer den in der Schlacht Gefallenen gehörten Wodan 
auch jene an, die sich selbst den Tod gegeben, die Selbst- 
m ö r d e r. Auch sie blieben unbeerdigt. Schon hier spielt 
vielleicht für die Wodanszugehörigkeit auch seine anfangs 
erwähnte Verehrung als Windgott herein, da ja über die 
unbeerdigt auf freiem Felde liegenden Toten Wind und 
Sturm ungehemmt dahinbrausten, somit teilnahmen an 
ihrem Verwesen und an ihrer Auflösung. Noch deutlicher 
aber wird uns diese Vereinigung der Eigenschaften des 
Windgottes mit denen des Seelenjägers und Totengottes, 
wenn wir hören, daß Wodan auch der Patron der 
Gehängten war. So sonderbar dieses Patronat für 
den obersten Germanengott aussehen mag, so nahe liegt 
doch diese Annahme nach dem bisher Gesagten. Die Leichen 
der Gehängten blieben ja am Galgen hängen, bis sie von 
den Aastieren, den Raben vor allem, zerfressen waren 
und in alle Winde zerstoben. Noch die alte deutsche Rechts 
formel bei Verurteilungen zum Tode durch den Strang 
verlieh dieser Bestimmung deutlich Ausdruck, zu welchem 
Beweise ich eine Stelle aus Wilhelm Raabes prächtiger 
Erzählung: „Der Junker von Denow" (Gesamtwerte I,
	        
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