Volltext: Unsere Volkssagen und ihre Bedeutung für die Heimatkunde

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den Herrgott einen „guten Mann" sein ließ. In diesem 
Sinne zeigt ja auch der Zeitspruch „Not lehrt beten" von 
einer zwar wahren, aber gewiß nicht hohen Moralstufe. 
Bei den Neuerungen und Weiterentwicklungen der Glau 
bensansichten in gutem und schlechtem Sinne lebten aber 
doch in ihnen die Grundvorstellungen des ältesten Natur 
dämonenglaubens weiter. Dies gilt für den Götterglauben 
unserer germanisch-heidnischen Vorfahren, wie sehr dieser 
auch in vielem schon eine bedeutend höhere Stufe religiöser 
Anschauungen vertritt und nicht minder für die folgende 
Glaubensgemeinschaft des Christentums. 
Gerade die letzte zeigt besonders deutlich, wie schwer, 
ja unmöglich es einer neuen Religion ist, alteingewurzelten 
Volksglauben restlos auszutilgen. In den zahlreichen 
Marienlegenden, in den Vorstellungen über die Wirksam 
keit der Viehpatrone St. Stephan und St. Leonhard sowie 
des Feuerpatrons St. Florian leuchten noch immer Na 
turanschauungen durch, wie sie in der Zeit des Hei 
dentums dem Volksglauben anhafteten. Außer den alten 
Volksbräuchen bieten unsere Volkssagen eine reiche Fülle 
von Beispielen. 
Wohl das sagenreichste aller Elemente ist die Luft 
mit ihren Naturerscheinungen der Stürme, Gewitter Re 
gengüsse, Hagelschauer und Schneefälle. Daß diese Vor 
gänge den noch auf niedriger Kulturstufe befindlichen Völ 
kern am meisten Eindruck machten, ist leicht begreiflich. Sie 
waren für unsere Vorfahren die verheerendsten und ge 
fährlichsten Ereignisse, diese ihnen gegenüber am hilflosesten 
und ohnmächtigsten. Daher die große Rolle dieser Natur- 
geschehnisse im ältesten Volksglauben. Sie waren den 
Naturvölkern aber auch am unerklärlichsten und geheim 
nisvollsten, gaben ihnen die schwierigsten Rätsel zu lösen. 
Daher ihr häufiges Vorkommen in der Volksfage aller 
Stämme. Bei uns zum Beispiel ist keine Volkssage örtlich 
so allgemein verbreitet, inhaltlich so mannigfach abwechselnd 
wie die Erzählung vom „wildn Iaga" und seinem Gefolge, 
dem „wildn G j o a d" oder, wie es manchmal benannt 
wird, „'s N a ch t g j o a d". Die folgend abgedruckte Sagen 
sammlung aus dem Bezirke Braunau allein weist in bun 
testen Fassungen 35 Sagen dieser Art auf und sie ist noch 
lange nicht erschöpfend. Ursprünglich ist dieser wilde Jäger 
wohl nichts anderes als der zum geisterhaften Dämon ver- 
persönlichte Wintersturm, der mit sausendem Geheul 
die Luft durchrast, über die Wälder hinwegjagt, Bäume 
entwurzelt, Dächer eindrückt, Menschen mit sich reißt und 
dann zu Boden schleudert. Die spätere Religionsanschau
	        
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