Volltext: Das Bild als Waffe

«Chätiments» und den «Cauchemar de M. de Bismarck» zeichnete, Cham, 
Gustave Dore und wenigen anderen keine großen Karikaturisten 13. Andre 
Gill legte am 4. September 1870, dem Tage des Sturzes Napoleons III., 
den Zeichenstift nieder. 
Weiterhin waren innere Gründe maßgebend: Von einer mora¬ 
lischen Autorität der Künstler-Journalisten, wie sie sich im Laufe des 
Weltkrieges in Frankreich zeigte, konnte damals noch keine Rede sein. 
Daumier, der größte unter ihnen, galt als ein «Amuseur», als einfacher 
„Karikaturist“ und Künstler zweiten Ranges. Desgleichen fehlte die für 
jede Propaganda nötige Einheitlichkeit der Angriffsstrategie: Napoleon 
und seine kaiserliche Regierung wurden von der Satire fast in gleichem 
Maße aufs Korn genommen wie der deutsche Feind 14. 
Der Ausbruch des Weltkriegs brachte zunächst eine völlige Ver¬ 
wirrung in das Lager der Zeitungsleute. Fast sämtliche Witzblätter stellten 
ihr Erscheinen ein. Die Tageszeitungen waren gezwungen, ihre Seitenzahl 
zu verringern, da die früher vielfach aus Deutschland erfolgte Papier¬ 
lieferung mit einem Schlage aussetzte. Ein Teil des technischen und redak¬ 
tionellen Personals verließ die Arbeit, um unter die Fahnen zu eilen. 
Wichtige Nachrichtenquellen fielen aus; die Presse bekam die Zügel der 
Kriegszensur zu spüren. Der aufs höchste gesteigerte Nachrichtenhunger 
der Lesermassen war kaum noch zu befriedigen. Das meinungsmäßig 
früher so buntschillernde Kleid der französischen politischen Presse hatte 
der Eintönigkeit der «Union Sacree» weichen müssen. Sie wenigstens 
formal etwas aufzulockern, oft vielleicht auch nur als Lückenbüßer für 
den fehlenden Nachrichtenstoff dienend, erschienen bald die ersten Er¬ 
zeugnisse des Zeichenstiftes in der Tagespresse. Ihre psychologische Dyna¬ 
mik erkannte man erst später. 
Das Signal zur Mobilisierung der Künstlerarmee gab in den ersten 
Tagen des Krieges Jean Veber mit seiner Lithographie «La Brüte est 
lächee»: Das gestiefelte und behelmte Untier, das die Züge des deutschen 
Kaisers trägt, bricht mit Riesenschritten in ein friedliches Land ein 15 (vgl. 
Abb. 1). Unter dem Arm trägt es Bündel verderbenspeiender Geschütz¬ 
rohre. Flinter ihm, über einem brennenden Florizont, eine Flotte von 
Luftschiffen ... 
Das „M arnewunder“ befreite die französische Öffentlichkeit 
von dem lastenden Alpdruck der Bedrohung ihrer Hauptstadt. Mit dem 
Stellungskrieg an der Front setzte die Bildproduktion wieder ein. Man 
rühmte den Heroismus des Siegers an der Marne; der Typ des „lachenden 
Poilu“ bildete sich heraus (Abb. 13). 
In den folgenden Wochen und Monaten sind die angeblichen deut¬ 
schen Greuel in Belgien und Nordfrankreich das große Thema der 
französischen Bildpropaganda. Schon das erste Hetzbild in der GUERRE 
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