Volltext: Das Bild als Waffe

katuren? Die französischen Kritiker sind sich über die Beantwortung 
dieser Frage nicht einig. La Sizeranne ist der Ansicht, daß nicht die 
Zeichnungen aggressiver Tendenz über die Deutschen den Vorrang ver¬ 
dienen, sondern die über die Franzosen selbst, und nennt als berühmtes 
Beispiel Forains «Pourvu qu’ils tiennent!» 379; andere teilen diese Ansicht 
nicht 38°, eine Erscheinung, die verständlich wird, wenn man sich vor 
Augen führt, daß bald der Wertmaßstab des Propagandisten, bald der des 
Nur-Künstlers angelegt wird. 
Betrachtet man die französische Bildpropaganda, wie sie während des 
Krieges geführt wurde, in ihrer Gesamtheit, so drängt sich unwillkürlich 
ein Vergleich mit der deutschen auf. Während auf franzö¬ 
sischer Seite alles, was mit Propaganda zusammenhing, sich der größten 
Wertschätzung erfreute, unterschätzte man bei uns die Macht der Ideen. 
Man glaubte, daß Gottes Hilfe bei denen ist, die die meisten Kanonen 
haben, und war sogar noch stolz darauf, „solche Mittel“, wie z. B. die 
Flugblattpropaganda und das Tendenzbild, nicht nötig zu haben 381. Es 
trifft den Kern der Sache nicht, wenn in einer deutschen Studie über die 
Kriegspropaganda behauptet wird: „Die deutsche Propaganda hatte mehr 
Gewissen und daher weniger — Wirkung.“ 382 Richtiger dürfte sein, daß 
die französische Propaganda mehr Glauben und Be¬ 
geisterung hatte und darum erfolgreicher war. Was 
hier nämlich mit dem Wort „Gewissen“ umschrieben wird, ist nichts an¬ 
deres als eine ästhetisierende Ziererei, die der deutschen Propaganda zu eigen 
war. Nirgends läßt sich eine bessere Bestätigung für unser Urteil finden als 
in deutschen Witzblättern und Karikaturen, die während des Weltkriegs an 
die Öffentlichkeit kamen: künstlerisch nicht selten hervorragend, propagan¬ 
distisch im Vergleich zum französischen Bilderwerk vielfach herzlich be¬ 
langlos 383. Von einer einheitlich zusammengefaßten, straff geleiteten, tak¬ 
tisch leistungsfähigen und strategisch zweckmäßigen Bildpropaganda, die 
diesen Namen verdient hätte, kann keine Rede sein. Um nur ein Beispiel zu 
nennen: die «propagande ä rebours», d. h. die Auswertung feindlicher Kari¬ 
katuren zu eigenen Zwecken, wie sie französischerseits («Tetes de boches» 
im MATIN u. a.) schon bald nach Ausbruch des Krieges wirksam ange¬ 
wandt wurde, fand in der deutschen Presse erst sehr spät Eingang. 
Weil Deutschland sich im geistigen Kampf bald in die Abwehr¬ 
stellung drängen ließ, fehlte es auch der Bildpropaganda, die in der 
aggressiven Satire ihre tiefsten Wirkungen erzielt, an mitreißendem 
Schwung. War der französische Künstler leidenschaftlich erregt, pathe¬ 
tisch, witzig und geistreich, so blieb man auf unserer Seite in der Es-ist- 
nicht-wahr-Verteidigung, wurde trocken und langweilig. Die Konzentra¬ 
tion ,des geistigen Angriffs auf das „perfide Albion“ (Gott strafe England!) 
ging so weit, daß ein französischer Beobachter schrieb: „Wenn man nur 
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