Volltext: Das Bild als Waffe

Abel Faivre zeigte am 9. November im ECHO DE PARIS die deut¬ 
schen Unterhändler mit verbundenen Augen vor einem französischen 
Wachtposten, dessen Bajonett drohend in die Luft starrt: „Endlich! 
Deutschland sieht klar!“ Eine Zeichnung Forains stellt die auf den Knien 
um Gnade flehende Germania dar, der ein französischer Soldat den Mund 
aufhält: „Sie wird nicht mehr beißen, ihre Zähne sind gebrochen!“ 285 
Bei der Besetzung des Rheinlandes drückten manche 
Zeichner ihre Hoffnung aus, die französischen Truppen möchten recht 
lange dort bleiben. 
Während der Verhandlungen um die Gestaltung des Friedens- 
v e r t r a g s ist ein neues Aufflackern der Kriegsschuld- und Greuelpropa¬ 
ganda zu beobachten. Wie man Wilson durch die verwüsteten Gebiete der 
soeben vom Feinde verlassenen Front führte, um in seinen Augen die dem 
deutschen „Partner“ auferlegten, unerhört harten Bestimmungen des Dik¬ 
tats zu rechtfertigen, so suchte man mit dem Zeichenstift die Erinne¬ 
rung an die Greuel wieder aufzufrischen, die das nun vor dem Ge¬ 
richt der Sieger stehende Deutschland angeblich begangen hatte. Man 
malte die Möglichkeit eines deutschen Sieges und eines „Friedens der Ge¬ 
rechtigkeit“ aus. 
Die junge deutscheRepublik, die noch bis zur November¬ 
revolution von der Ententepropaganda als eines der großen Kriegsziele 
der Alliierten immer wieder gefordert wurde, konnte sich bei den fran¬ 
zösischen Zeichner-Journalisten, als sie endlich geboren war, keine beson¬ 
deren Sympathien erwerben. Forain spottete über die Deutschen, die als 
brave Republikaner sich weigern wollen, das vom Kaiserreich Zerstörte 
zu bezahlen 286. 
Die lange Dauer der Friedensverhandlungen wurde von weiten 
Kreisen der französischen Öffentlichkeit mit Mißfallen aufgenommen, das 
in einer Reihe satirischer Zeichnungen zum Ausdruck kam. Auf welcher 
Basis der Vertrag auf gebaut werden müsse, wurde ganz offen zugegeben: 
auf der brutalen Gewalt der Kanonen 287 (vgl. Abb. 11). Dem deutschen 
Geschäftsträger, der sich sträubt zu unterzeichnen, droht Clemenceau: 
„Unterschrift oder Tod!“ 288 
Auch Wilsons mitunter zaudernde Haltung war die Ursache 
einiger satirischer Angriffe. Man erinnerte ihn daran, daß er im Jahre 
1871, als Bismarck diktierte, erst vierzehn Jahre alt war 289. Sein Werk, 
der Völkerbund, wurde mit dem Ei des Kolumbus verglichen, das umzu¬ 
fallen droht 29°. 
Mit der Besiegelung des deutschen Zusammenbruchs am 28. Juni 1919 
in Versailles hatte die Bildpropaganda als Teil der französischen und da¬ 
mit der Ententepropaganda ihr Ziel erreicht. Eine fünfjährige Hetzarbeit 
fand ihr Ende oder — richtiger gesagt — eine wesentliche Einschränkung, 
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