Volltext: Oberste Heeresleitung und Balkan

Auch der deutsche Botschafter teilte die Bedenken gegen einen ver¬ 
frühten Kriegseintritt. Bei ihm waren es militärische Gesichtspunkte, 
die ihn vor einem vorschnellen Losschlagen der Türkei warnen ließen. 
Nach seiner Auffassung hatte die Kriegsbereitschaft der Türkei dem 
Kriegseintritt voranzugehen. Erstere schloß die absolute Sicherung der 
Dardanellen vor einem feindlichen Flottendurchbruch auf Konstantino¬ 
pel in sich. Diese Gewähr aber war auch nach dem Urteil deutscher 
Admirale in den ersten Kriegswochen noch nicht gegeben. Aber selbst 
wenn diese Voraussetzung erfüllt war, sprachen nach der Auffassung des 
Botschafters weitere Gründe gegen ein baldiges Losschlagen der Türkei. 
Unter dem noch frischen Eindruck der schweren Verluste der beiden 
Balkankriege glaubte Freiherr von Wangenheim, falls die Zufuhr durch 
die Dardanellen auf hörte, die Widerstandskraft der Türkei auf „höch¬ 
stens 4—6 Monate“ veranschlagen zu dürfen. „Dann muß Hungersnot 
und Zusammenbruch unserer Politik eintreten“ hieß es in seinem Tele¬ 
gramm vom 11. September. Auch später, so in einem Telegramm vom 
24. September, sah er den Zeitpunkt für das Losschlagen der Türkei als 
noch nicht gekommen an und kennzeichnete die Lage in Konstantinopel 
mit den Worten: „Wann die Türkei losschlägt, hängt von unseren Erfol¬ 
gen, namentlich in Österreich1) und von der Haltung Bulgariens ab . . .“ 
Aber die schwere militärische Krise der Mittelmächte Mitte September 
schien kein längeres Warten zu dulden. Hatte sich bislang die deutsche 
Politik mit dem türkischen Standpunkt abgefunden, erst nach vollstän¬ 
diger Kriegsbereitschaft loszuschlagen, so verlangte nunmehr der ver¬ 
hängnisvolle Einfluß der militärischen Niederlagen im Westen, Osten 
und in Serbien auf die Haltung des neutralen Balkan ein sofortiges Ge¬ 
gengewicht. Hierzu war die Türkei ausersehen. Es war anzunehmen, daß 
die Kriegserklärung der Pforte an Rußland und ihr offenes Eintreten 
für die Mittelmächte auf den leidenschaftlich erregten Balkan ab¬ 
kühlend und ernüchternd wirken und die rumänischen, bulgarischen und 
griechischen Staatsmänner von übereilten und unter dem Druck der 
Straße gefaßten Entschlüssen abhalten würden. Nicht mehr durfte man 
wie noch vor wenigen Wochen hoffen, durch den Kriegseintritt der 
Türkei den neutralen Balkan mitzureißen; jetzt bei der so kritischen 
Gesamtlage mußte man schon zufrieden sein, durch das Vorgehen der 
Türkei seinen Übergang zum Feind verband zu verhindern. 
x) So im Original, gemeint sind wohl Erfolge Österreich-Ungarns gegen Rußland 
und Serbien. 
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