Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Krisen und Katastrophen im Feindlager 
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die Italiener in zwei Jahren unter den schwersten Opfern mühevoll errungen hatten, 
ging in vier Tagen vollständig verloren und noch mehr. Die zunächst gepackte italie¬ 
nische 2. Armee war völlig geschlagen und in einem Zustande gänzlicher Auflösung. 
„Unaufhaltsam ging die allgemeine gludjt nach Westen, aller war von tollster Kopf¬ 
losigkeit ergriffen, vorrückende Reserven wurden von den Flüchtenden mit dem Ruf ver¬ 
höhnt: Streikbrecher! L; lebe Österreich! Vicht gedrängt faßen die Soldaten auf den Fuhr¬ 
werken. In der Nacht erhellten ungezählte Brände den Himmel. Trunkene johlten und 
raubten, vie ganze 2. Armee marschierte nach Hause. Die Gradabzeichen wurden entfernt, 
viele Soldaten kleideten sich überhaupt in Zivil, bildeten Räuberbanden und brandschatzten die 
Bevölkerung. Niemand glaubte an eine Verfolgung durch den Feind, alle; jubelte: Oer Krieg 
ist aus. Vierhunderttausend versprengte und veserteure durchzogen Dberitalien und wurden 
erst an den Po-Brücken aufgehalten und gesammelt." 
So schildert ein später aus drei Generalen zusammengesetzter italienischer Unter¬ 
suchungsausschuß die damalige Lage. Es war also kein Rückzug mehr, wenigstens bei 
dieser Armee, es war Panik und vollste Flucht. 
Erst am Piavefluß, wo es der italienischen 3. Armee gelungen war, noch recht¬ 
zeitig eine Aufnahmestellung einzunehmen, kam die Verfolgung Anfang November 
zum Stehen. Ein Vorstoß von drei österreichisch-ungarischen und zwei deutschen Divi¬ 
sionen aus Südtirol auf Asiago, also in die linke Flanke und in den Rücken der Ita¬ 
liener, sollte die letzte Entscheidung bringen. Wäre er gelungen, so wäre eine Kata¬ 
strophe allerschlimmster Art für das italienische Heer nicht mehr zu vermeiden ge¬ 
wesen. Italien selbst wäre zusammengebrochen und zum Frieden gezwungen ge¬ 
wesen. Seine Alliierten hatten daher noch rechtzeitig den Entschluß gefaßt, dem 
schwer ringenden Bundesgenossen zu Hilfe zu eilen. Sechs französische und fünf eng- 
liche Divisionen, rund 150000 Mann, trafen bis Mitte November am Gardasee ein. 
Ihre Hilfe und das Festlaufen des Tiroler Stoßes infolge des leider sehr frühen Ein¬ 
tretens des Winters und der hierdurch verursachten unüberwindbaren Schwierig¬ 
keiten der Gebirgsstraßen retteten das italienische Heer vor dem Letzten. Neben dem 
das moralische Gefüge erschütternden Eindruck der Niederlage aber war auch sein 
personeller und materieller Verlust ein ganz gewaltiger Faktor. Mehr als 800000 
Mann, über 3000 Geschütze, unermeßliche Mengen an Heeresgerät und Munition, 
mehr als 100 km Gelände waren verloren, und das alles statt des sicher erhofften 
Triest! Der Oberbefehlshaber, General Graf Eadorna, wurde nach Hause geschickt. 
Erst Österreichs Zusammenbruch Ende 1918 vermochte den auf Italien und seinem 
Heere lastenden schweren Druck zu heben. 
Englische Krisis und Rußlands Ende 
Der französische Historiker palat nennt in seiner Kriegsgeschichte das Jahr 1917 
das sorgenvolle Jahr. Alles habe sich gegen die Entente verschworen. Zur Krisis 
in Frankreich, nach der gescheiterten Apriloffensive, der schweren Niederlage der 
Italiener bei Karfreit-Tolmein, den großen Erfolgen der deutschen U-Boote sei auch 
noch der völlige Zusammenbruch Rußlands gekommen. 
Indessen hatte auch die englische Armee im Jahre 1917 eine nicht un¬ 
gefährliche Krisis durchmachen müssen. Die ungeheuren Verluste des Jahres, 
hauptsächlich der Flandernschlacht, werden auf 800000 Mann eingeschätzt, darunter 
allein 155000 Tote. Aus Furcht vor einer „sozialen Revolution" soll, wie der bekannte 
Oberst und Militärschriftsteller Repington angibt, Llogd George, der leitende Mi¬ 
nister, nicht für genügenden Ersatz gesorgt haben. So fehlten nach Aussage des eng-
	        
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