Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Pott Chauvinismus, Kriegsschuld und deutscher Regierungspolitik487 
Das ist nicht ein Hetzartikel eines geisteskranken französischen Überpatrioten aus 
dem August 1914, sondern die ruhige, überlegte Meinung eines führenden franzö¬ 
sischen Pazifisten und humanitärs in der Nachkriegszeit. Neunzig Prozent der North- 
cliffe-pressehetze machte Romain Rolland mit,- daß er nicht alle hundert mitmachte, 
genügte, um ihn in Frankreich zu verfemen als Verräter und Deutschenfreund, ihn 
außer Landes zu treiben und fast völlig zu isolieren. 
Oie Oeutschenverfolgung, die mit Kriegsausbruch in zwei Dritteln der Erde ein¬ 
setzte und sich allmählich über fünf Sechstel der Erde verbreitete, gab die Praxis zu 
der obigen Theorie vom Wesen des deutschen Volkes. Rein Gebot der Rechtsordnung 
oder des Gewissens galt zugunsten eines Deutschen. Und dieselben Taten, die den 
Deutschen angetan wurden, schrieb die Feindbundpresse gleichzeitig und einmütig 
den Deutschen als Tätern zu. Das war, wie der Propaganda-Psgchologe es treffend 
genannt hat, der „Spiegelgedanke". 
Einige Beispiele für den Spiegelgedanken: Bild Nr. 231 ist die Reproduktion 
einer echten Momentphotographie aus der Londoner Zeitschrift „Graphic",- das Haus 
des Deutschen Schoenseld wird geplündert, und vier englische Polizisten sehen dabei 
ruhig zu. Ich stelle daneben eine Zeichnung von Raemaekers, die ungefähr gleichzeitig 
erschienen ist (Bild 232),- ein imaginärer deutscher plündernder Soldat spricht: „Recht 
so. Wenn ich es nicht getan hätte, hätte es vielleicht jemand anders getan." Rae¬ 
maekers wäre nicht Raemaekers, wenn er nicht im Hintergrund einige Blutlachen 
und halbnackte Frauen und Rinder anbrächte. Das ganze nennt Raemaekers „Bern- 
hardiismus" — als hätte der deutsche General Bernhardi Plünderung und Schän¬ 
dung empfohlen,- und der fromme Schriftsteller hillaire Belloc schreibt dazu einen 
langen begeisterten Rommentar. 
Ebenso gaben die französischen Zeitschriften und Zeichner nur der Volksstimmung 
Ausdruck, als sie die Mißhandlung kriegsgefangener Deutscher mit Behagen ver¬ 
herrlichten. Gleichzeitig tobte natürlich die Feindbundpresse über die angebliche Mi߬ 
handlung kriegsgefangener Feindbündler durch die Deutschen. 
Einige Zahlen hierzu. Während des Rrieges befanden sich insgesamt 424157 Deut¬ 
sche in Frankreich in Rriegsgefangenschaft. hiervon sind 25229 (5,95%) in der Kriegs» 
gefangenschaft gestorben,- 43251 sind „unaufgeklärte Fälle", d. h. die betreffenden 
Leute sind in der Rriegsgefangenschaft verschollen. Es ist mir übrigens nicht bekannt, 
daß das Deutsche Reich von Frankreich Rechenschaft über das Schicksal dieser mehr 
als dreiundvierzigtausend Deutschen verlangt hätte. 
Zm Deutschen Reich befanden sich insgesamt 535411 französische Kriegsgefangene,- 
hiervon sind in der Gefangenschaft gestorben 17308 (3,23%); die Sterblichkeit in den 
deutschen Gefangenenlagern war also trotz der Hungerblockade und der Rnappheit 
an allem Lebensbedarf nur halb so groß wie in den französischen. Das Deutsche Reich 
vermag auch fast von jedem einzelnen dieser mehr als einer halben Million Franzosen 
Rechenschaft zu geben. 
von den 12898 kriegsgefangenen Deutschen in Rumänien sind 3145 (24,38%!) 
in der Rriegsgefangenschaft gestorben, 844 (6,54%) sind „unaufgeklärte Fälle". Fast 
ein Drittel der kriegsgefangenen Deutschen in Rumänien ist tot oder verschollen. 
von den 168104 kriegsgefangenen Deutschen in Rußland starben 15767 (9,38%); 
nicht weniger als 51213 sind verschollen, von diesen hundertachtundsechzigtausend 
Deutschen sind zwei Fünftel tot oder verschollen!
	        
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