Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

482Erich Otto Volkmann 
bis zuletzt eine Scheu, die offene Revolution während des Krieges auszurufen. Aber 
sie konnten sich der Strömungen, die der Auflösung zutrieben, nicht mehr erwehren. 
Oie Radikalen dagegen waren ohne jede Hemmung. Ihnen schien gerade 
der letzte Todeskampf ihres Volkes der richtige Moment, die verräte¬ 
rische Waffe der Revolution zu zücken. Sie sollte das zweite Glied der 
Weltrevolution werden und den Funken überleiten nach Paris und 
London. Vas Einzelschicksal des deutschen Volkes spielte in ihren Gedanken und 
Plänen keine Rolle. Sie scheuten die nationale Zerstörung nicht, wenn sie ihren 
proletarischen Sonderzielen nützlich war. Mit äußerster Anstrengung haben sie seit 
dem Frühjahr 1918 an dem Ausbau ihrer revolutionären Kampforganisation ge¬ 
arbeitet. Oie einzelnen Gruppen gingen dabei getrennte Wege. Vas Ziel aber war 
das gleiche. Der Spartakusbund, an dessen Spitze seit dem Oktober wieder der 
unglaublicherweise aus dem Zuchthaus entlassene Liebknecht stand, 
bevorzugte politische Einzelhandlungen, die der „Aufrüttelung der Massen" 
dienten, Demonstrationen, Anzettelung von Streiks, Sabotageakte, Auf¬ 
forderung zur Fahnenflucht und Dienstverweigerung. Die revolutionären 
Gewerkschaftsführer, an ihrer Spitze Barth und Richard Müller, hielten von 
dieser „neurevolutionären Ggmnastik" weniger als von Geheimverschwörungen 
mit dem Endziel eines großen Putsches unter diktatorischer Führung, der 
zu genau bestimmter Stunde im ganzen Reiche losbrechen sollte. Ihre fest organi¬ 
sierten und gut disziplinierten revolutionären Stoßtrupps sollten sich bei Beginn der 
Revolution rasch zu Herren der Straße machen und die unentschlossenen Massen 
mit sich reißen. An Geld fehlte es ihnen nicht. Der russische Botschafter 
in Berlin stellte es ihnen reichlich zur Verfügung. Auch Waffen wußten 
sie sich in genügender Menge durch Entwendungen aus Waffendepots, zum Teil auf 
Grund gefälschter Papiere oder durch Ankauf von pflichtvergessenen 
Urlaubern zu beschaffen. 
Bei Ausbruch der Revolution umfaßte dieser Geheimbund zwar nicht mehr als 
einige tausend verschworener. Aber es waren Männer von fanatischem willen, 
die ihren Führern bedingungslos gehorchten. 
Als letzte revolutionäre Gruppe betätigte sich die internationale revolutio¬ 
näre Jugendbewegung, die sich teilweise auch der planmäßigen Organisation 
der Desertation widmete. Die Zentralstellen dieser Veserteurorganisation 
waren in Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart und München, hier er¬ 
hielten die Deserteure Unterkunft, falsche Papiere, Geld und Weganwei¬ 
sungen bis zur Grenze. Die Hauptmarschrouten führten nach Holland und nach 
Dänemark. Wie fest der Zusammenschluß war, ergibt sich daraus, daß die Deser¬ 
teure in Holland eine eigene Zeitung Herausgaben und daß sie später, in den 
Zeiten der Revolution, besondere Deserteurvereinigungen mit eigenen 
Soldatenräten bildeten, die vorübergehend sogar einen politischen Machtfaktor 
darstellten, eine Groteske, die deutlicher als alles andere die unvorstellbare geistige 
Verwirrung und den moralischen Zusammenbruch kennzeichnet. 
Das Ende 
Am 7. Oktober 1918 fand in Gotha eine Reichskonferenz der radikalen 
Gruppen statt. Auf ihr wurden gemeinsame Grundlinien für die bevorstehende
	        
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