Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Zermürbung der Zivilbevölkerung 
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noch wenig von ihnen zu hören; im Jahre 1913 haben sie in vorsichtiger Sorm lediglich 
innerhalb der Partei kriegsfeindliche Opposition getrieben; im Jahre 1916 verstärkten 
sie die Spannungen innerhalb der Partei bis zum Bruch und begannen auch außer¬ 
halb der Partei mit ihrer Propaganda; im Jahre 1917 verlegten sie, nunmehr als 
selbständige halbrevolutionäre Partei, organisatorisch zusammengeschlossen mit den 
weiter linksstehenden Radikalen, das Schwergewicht ihrer propagandistischen Tätig¬ 
keit in die Massen. Im Jahre 1918 haben sie den Kampf bis zur Propagierung der 
kriegsfeindlichen Tat und bis zur unmittelbaren Vorbereitung der Revolution 
gesteigert. 
Dieses planvolle Vorgehen hat nicht ganz die Zolgen gezeitigt, die erwartet und 
bezweckt wurden. Soviel wurde aber doch erreicht, daß die durch die körperlichen und 
seelischen Röte des Krieges zermürbten Massen im kritischen Augenblick, als die 
Liquidation des Krieges vollzogen werden mußte, so aufgehetzt waren, daß sie sich 
von einer verbrecherischen Revolte mit fortreißen ließen, die die letzten Chancen 
eines irgend erträglichen Sriedensschlusses verdarb. 
Wie weit die Unabhängigen diese §olge gewünscht und in den Kreis ihrer Be¬ 
rechnungen planmäßig einbezogen haben, ist mit voller Sicherheit nicht festzustellen, 
viele unter ihnen haben es anscheinend für zweckmäßiger gehalten, daß der offene 
Ausbruch der Revolution bis nach dem Abschluß des Waffenstillstands verschoben 
werde. Aber, wie immer in solchen Süllen, zog auch hier die radikalere Strömung die 
gemäßigtere unhaltbar nach sich. Was während des Krieges als höchster Triumph 
der haaseschen Taktik gelten konnte, die Vereinigung aller kriegsfeindlichen 
Elemente, der ultrarevolutionären und der rein pazifistischen, in dem 
weiten Sammelbecken der USPV, das übte späterhin einen unerbittlichen Zwang 
auf die weitere Entwicklung aus und endigte bald nach dem Kriege damit, daß die 
Partei der unabhängigen Sozialdemokraten zwischen Rechts und Links völlig zer¬ 
rieben wurde. 
Der Zermürbungskampf erreicht seinen Höhepunkt 
Zum erstenmal hat sich der haasesche Kriegspazifismus und sein radikaler Anhang 
im Srühjahr 1917 zur offenen Seldschlacht gegen die nationale §ront gestellt. Es 
war die Zeit, als die Nerven der Bevölkerung durch die militärische 
Hochspannung des Jahres 1916 und durch die Entbehrungen des Kohl¬ 
rübenwinters auf eine schwere Probe gestellt wurden, die Zeit, in der das 
ungeheure Beispiel der russischen Revolution nicht nur in Deutschland, sondern auch 
in Frankreich und England die sozialistischen Massen bis in die Tiefen erregte und 
die revolutionären Instinkte weckte; es war die Zeit des Kriegseintritts Amerikas 
und der englisch-französischen Doppeloffensive bei Arras und am Ehemin des Dames, 
die die Entscheidung des Krieges erzwingen sollte. 
Am 16. April wurde in Berlin und in einer Reihe anderer deutscher Großstädte 
die Rüstungsstreikparole ausgegeben. Geschürt und weitergetragen durch die 
Propaganda der Radikalen wurde dieser Streik die erste wirkliche revolutionäre 
Massenbewegung des Weltkrieges. 
Die Streikteilnehmer rekrutierten sich zum weitaus größten Teil aus den Kreisen 
der Unabhängigen und der Radikalen. Die Parteileitung der Unabhängigen hütete 
sich wohlweislich, die Führung zu übernehmen. Aber man sympathisierte offenkundig
	        
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