Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Dom Geist der deutschen Kriegsmarine 
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und wirres Rufen, dort hatten sich die Meuterer verbarrikadiert. In der Zwischenzeit 
schwenkten sie aus den Bullaugen weiße Tücher und kleine Rote-Kreuz-Flaggen, die 
sie anscheinend dem Schiffslazarett entnommen hatten, und schrien: »Nicht schießen, 
Brüder' und ähnliches mehr." Als sich die Aufrührer „ergaben", wurde die Durch¬ 
führung der angeordneten strengen Maßnahmen aufgegeben. Der Sieg, den man • 
zur Aufrechterhaltung der Mannszucht errungen hatte, war aber nur ein Scheinsleg. 
Es glückte dem Flottenkommando nicht, die Hochseeflotte zu dem geplanten Dorstoß 
in See zu bringen. Zum zweiten Male hatte die rote Flagge über die Skagerrakflagge 
triumphiert. Und das deutsche Dolk war um eine große Hoffnung betrogen, in letzter 
Stunde durch einen kraftvollen Stotz auch beim Feinde den Kampfeswillen zu brechen. 
Später wurde dann die Mär verbreitet, die Offiziere hätten lediglich um ihrer 
Ehre willen einen Derzweiflungskampf mit England begehrt, und diesem wahn¬ 
witzigen Vorhaben, das eine nutzlose hinmetzelung von Tausenden bedeutet haben 
würde, hätte das Aufbegehren der Mannschaften an Bord glücklicherweise ein Ende 
bereitet, hierzu ist zu bemerken, daß man selbst in der Redaktion des „Vorwärts" 
in jenen Tagen ein aufklärendes Flugblatt hergestellt hat, in dem es unter Hinweis 
auf den geplanten Flottenvorstotz ausdrücklich hieß: „Die Offiziere der Kriegsflotte 
leisten der Regierung Gehorsam, und der gegen sie gerichtete Vorwurf, sie hätten 
diesen Gehorsam verletzt oder wollten ihn verletzen, ist unberechtigt." Dieser Aufruf 
wurde von Scheidemann und dem Prinzen Max von Baden unterzeichnet, was 
den Abgeordneten Dittmann nicht abhielt, seine mehr als plumpe Entstellung von 
einer „Admiralsrebellion" in die Welt zu setzen. 
Daß der Ausbruch der Flottenmeuterei rein auf politischer Grundlage beruhte, 
geht unzweideutig auch daraus hervor, daß man gesinnungstreue Mannschaften 
unter schärfstem Terror hielt. Man drohte ihnen mit Mord und Totschlag. Besonders 
groß war die Wut auf solche Flottenteile, die sich der Bewegung nicht sofort an¬ 
schlossen. So wurde Leuten vom Großen Kreuzer „Segdlitz" von Arbeitern und Ma¬ 
trosen zugerufen: „Euch königstreue Schufte schlagen wir tot!" Im Gegensatz hierzu 
ist es höchst bemerkenswert, daß viele ältere Leute auf die „Kindereien" an Bord 
schimpften, und daß vor allem die Besatzungen der Torpedoboote und U-Boote, die 
vom Laster des Müßigganges nicht angefault waren und darob von den Aufrührern 
bereits am 31. Oktober mit Schimpfworten wie „Bluthunde" und „Polizeihunde" 
bedacht wurden, das verhalten der Linienschiffe aufs äußerste mißbilligten. Die 
Kommandogewalt griff in der Weise durch, daß man Massenverhaftungen vornahm. 
Außerdem fanden in sachlichster und wohlwollendster Weise Belehrungen statt. So 
hieß es in einem Erlaß des Flottenchefs: „Wir wollen keine nutzlosen Opfer vor dem 
ersehnten Frieden. Wir wollen aber in starker Einigkeit uns mit scharfen Waffen vor 
die Tore der Heimat stellen, bis der Friede wirklich da ist. Darauf vertraut die Heimat, 
das sind wir der Heimat schuldig, dafür müssen wir alles hergeben bis zuletzt!" Auf 
einzelnen Schiffen kehrte auch die Besinnung wieder. Die Leute selbst gaben die 
Hetzer an und baten um deren Abkommandierung. 
Die Massenverhaftungen hatten leider nicht den gewünschten Erfolg. Sie dienten 
vielmehr den Hetzern an Bord dazu, um neuen Zündstoff zu sammeln. Sie haben ihn 
weidlich ausgenutzt, indem sie den Geist jener falschen Kameradschaft anriefen, der 
solche Verhaftungen nicht zulassen dürfe. Aber auch sonst ergaben sich für die mili¬ 
tärischen Dienststellen unerfreuliche Folgeerscheinungen. Es gebrach am nötigsten
	        
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