Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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vom unbekannten Heldentum deutscher Gefangener 
kärglichen Rost abgesparten Proviant, der sorgfältig eingeteilt werden mußte, da er 
ja unterwegs nicht ergänzt werden konnte,' mehrere Tage währende Zahlt auf er- 
schmuggeltem Platz im Güterwagen zwischen übelriechender Zracht, in Rörnerhaufen 
eingewühlt oder unter Ballen und Risten versteckt oder auch auf den Wagenpuffern 
sitzend, das ist die Regel dessen, was sich der Flüchtling auferlegt. Dazu kommen noch 
die Unbilden der Witterung, bei wochenlangem Aufenthalt im Freien, ohne ein Oach 
über dem Ropf zu haben, Durchschwimmen von Zlüssen, Übersteigen unwirtlicher 
Gebirgskämme, mit der Drohung, die Verfolger auf den Zersen zu haben. Diele 
scheuten von Sibirien aus nicht die Durchquerung langer Wüstenstrecken, um China 
zu erreichen. Was Graf Luckner, der Leutnant Rillinger, der Flieger plüschow und 
viele andere an Rühnheit und Ausdauer auf ihrer Zlucht leisteten, ist ja bekannt 
und offenbart ebenso echten Heldengeist, wie das Aushalten in mörderischem 
Rampf. 
Entzückende Husarenstückchen ereigneten sich, wie z. B. eines der Rampfflieger 
Menkhoff vollführte. Er läuft, als er sich verfolgt sieht, in einen Wald, wartet unter 
einem Strauch liegend ruhig ab, bis die nachsetzenden Zranzosen weit genug von ihm 
entfernt sind und fährt dann ftöhlich im Auto seiner Verfolger davon. Im wagen 
findet er Mütze und Mantel eines französischen Offiziers, bekleidet sich damit und 
kommt unbehelligt bis an die Grenze der Schweiz, die er über den diese Grenze bil¬ 
denden Zluß schwimmend erreicht. 
Zast ans Märchenhafte reichen die verbürgten Berichte über Verbindungen, die 
sich die in Sibirien Gefangenen mit Hilfe hilfsbereiter Asiaten zu schaffen wußten. 
In den Lagern war bekannt, daß hier — Hunderte von Kilometern weit — in einer 
kleinen Stadt ein Afghane, dort ein Inder in einem kleinen Lädchen saß, die mit Rat 
und Tat Beistand leisteten und das in sie gesetzte vertrauen nie enttäuschten, vielen 
haben sie mit rührender Selbstlosigkeit geholfen, vielen damit die Heimkehr ermög¬ 
licht. Auch diese Unbekannten, die, ohne Belohnung, Zreiheit und Leben aufs Spiel 
setzten und ihren Beistand liehen, wie man eine selbstverständliche Pflicht erfüllt, 
dürfen auf der Liste derer, denen das deutsche Volk Dank schuldet, nicht fehlen. 
Meine eigene Zlucht, die mir erst im Jahre 1919 gelang, war weder romantisch 
noch heroisch, sondern lediglich amüsant. Sie gehört daher eigentlich gar nicht in 
dieses Buch und soll nur dazu dienen, das unsäglich Betrübende, womit der Leser 
in diesen Zeilen gequält wird, durch eine heitere Erzählung zu unterbrechen. 
Ich hatte mir Zivilkleidung, auch Geld verschafft und kletterte nachts mit einem 
Kameraden über die Mauer, um den Zrühzug nach Straßburg zu erreichen. Auf der 
etwa 4 km langen Straße zum Bahnhof in Epinal kamen uns zwei Gendarmen ent¬ 
gegen, die wir, um ihrer Neugierde zuvorzukommen, nach dem weg fragten und die 
auch bereitwillig Auskunft erteilten. Auf dem Bahnhof trennten wir uns, da wir sonst 
uns durch kleine Unvorsichtigkeiten hätten verraten können. Zm letzten Augenblick kam 
ich an den Zug, der Schaffner stopfte mich rasch in ein nur mit französischen Offizieren 
besetztes Abteil. Ich war über diese Reisegenossenschaft natürlich sehr wenig erfreut, 
fand aber in ihnen sehr artige Menschen, die mir lachend erklärten, ich könne von 
Glück sagen, diesen Zug noch erreicht zu haben, da wegen Kohlenmangel bis zum 
Abend kein Zug mehr nach Straßburg abgelassen werde. Zn Nancg, wo ich umsteigen 
mußte, war zwei Stunden Aufenthalt,- ich war fast erstaunt, daß ich mich nach 14 Mo¬ 
naten zum ersten Male wieder unbehelligt ganz nach Belieben bewegen durfte. 
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