Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Ernst Rabisch 
Wien an einem Tage Kopf und Nerven verloren, daß sie die einzige Friedensmöglich- 
keit so brutal niederschlagen?" ließ „das weltbekannteste Mitglied des polnischen 
Adels" dem Abgeordneten Erzberger auf eine Anfrage am 6. November sagen, und 
der russische Botschafter in Stockholm urteilte: „Rußland erblickt hierin eine tödliche 
Beleidigung. Auch für das Lhrbewutztsein einer Nation gilt ein Dolchstoß weniger 
als eine öffentliche Ohrfeige. Deutschland hat sich hiermit Rußland zum ewigen 
Feinde gemacht. Rußland hat nunmehr eine Kriegslosung gefunden, die alle Klassen 
und Parteien einigen wird in dem willen, den Krieg bis zum letzten Atemzug aus¬ 
zukämpfen." 
Dies Verhängnis besteht. Die Proklamation befriedigte niemand. Die Polen 
spannen ihre Fäden zu den Westmächten weiter, dachten nicht an Heeresfolge für 
die Zentralmächte. — Der Zar konnte jetzt an keinen Frieden mehr denken. Bis 
dahin blieb es zweifelhaft, ob er der Einwirkung der Stürmer, Protopopow, Rasputin 
bei der Aussichtslosigkeit der Kriegs-, der dauernden Verschärfung der inneren Lage 
noch lange widerstehen würde. Jetzt stand Rußlands Ehre auf dem Spiel. Opferte er 
sie, so war er verloren. Jehl konnte er den versuch zum Einlenken erst wagen, als es 
zu spät war. völlig abzulehnen ist Lethmanns Selbstverteidigung, der dann folgende 
letzte verzweiflungsschritt des Zaren an Österreich im März 1917 beweise, daß die 
Proklamation nichts geschadet habe. 
Abzulehnen auch die Behauptung, militärische Gründe seien für diesen politischen 
Akt ausschlaggebend gewesen. General v. Beseler war keine Persönlichkeit von militär¬ 
politischer Schwere. Falkenhagn hatte die Proklamation verhindert, hindenburg- 
Ludendorff waren erst an die Spitze getreten nach den Beschlüssen vom 11. und 
12. August, „vie amtlichen Politiker", schrieb die „vossische Zeitung" am 8. April 1918, 
„hatten die Annehmlichkeiten des selbständigen Polens im Hauptquartier vorgetragen 
und dafür selbstverständlich bei dem General (Ludendorff) Verständnis gefunden." 
Nicht verantwortliche suchen wir. Schicksalhaft aber war es, das müssen wir fest¬ 
stellen, daß „die Herren in Berlin und Wien an einem Tage Kopf und Nerven ver¬ 
loren, daß sie die einzige Friedensmöglichkeit so brutal niederschlugen". 
Verdun 
Um Weihnachten 1915 hält General v. Falkenhagn dem Kaiser Vortrag. Es gilt 
eine Operation, die das Ende des Krieges bringen soll. Auf England zielt sie, England 
muß friedenswillig gemacht, Englands Vernichtungswille gebrochen werden, denn 
England ist das Rückgrat der Alliierten. Englands Flotte zu schlagen, dazu erklärt sich 
die deutsche Marineleitung außerstande; noch weniger kann ein deutsches Heer drüben 
landen. Auf dem Festland aber kann man es treffen, hier kämpft es mit eigenen 
Truppen, vornehmlich aber durch die Heere Rußlands, Frankreichs, Italiens. Ru߬ 
land ist im Sommer 1915 siech geschlagen, vie eben beendete Vernichtung der Serben¬ 
macht hat das Tor zu den vardanellen endgültig zugeschlagen. Rußland wird ohne 
zureichende Unterstützung durch die Kriegsindustrie seiner westlichen verbündeten 
allmählich zugrunde gehen. Man kann es sich selbst überlassen. Italiens kriegerische 
Leistungen sind sehr gering, Frankreich ist jetzt Englands bestes Schwert — Frank¬ 
reichs Heer muß zerbrochen werden, um England zur Besinnung zu bringen, va- 
neben sollen auch Englands Festlandstruppen zermürbt werden, bevor die neue
	        
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