Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

was wir vom Ernährungswesen des Weltkrieges nicht wissen 
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benötigen aber Zutter und dieses Zutter muß irgendwo Herkommen. In Zriedens- 
Zeiten ist es scheinbar gleichgültig, ob dieses Zutter aus dem Ausland bezogen oder 
im Inland selbst erzeugt wird. Oie nach rein liberalen Gesichtspunkten betriebene 
Wirtschaft wird natürlich das Zutter dort beziehen, wo es am billigsten zu haben ist. 
Weil sich nun in Deutschland seit dem Jahre 1870 eine hochgezüchtete, leistungs¬ 
fähige Viehwirtschaft entwickelte, war man auf Kraftfutter angewiesen. Dieses Zutter 
wurde aber im Inland in großen Mengen nicht erzeugt, so daß die Auslandseinfuhr 
bei der damaligen Wirtschaftseinstellung nicht zu umgehen war. Man förderte durch 
den sogenannten Bülowschen Zolltarif des Jahres 1902 sogar diese Entwicklung noch, 
indem man für Zuttergerste und Ölkuchen kaum Einfuhrzölle erhob, sondern diese 
nur auf Brotgetreide ausdehnte. Dieser Zolltarif bot einen direkten Anreiz für die 
Einfuhr ausländischer Zuttermittel, so daß es nicht wundernehmen brauchte, wenn 
unsere ganze Vieh- und damit Zleischwirtschaft ihre Zutterbasis im Auslands hatte. 
Nicht weniger als 5 Millionen Tonnen, das sind 100 Millionen Zentner, ausländischer 
Zuttermittel wurden auf diese Weise vor dem Kriege jährlich eingeführt. 
Dafür hatte man nun die inländische Zuttererzeugung vollkommen vernachlässigt. 
Man legte also keinen Wert aus den Anbau von eiweißreichen Grünfutterpflanzen, 
die man hätte trocknen können, um sie einzulagern, geschweige denn auf die Ein¬ 
führung neuer Methoden der Heugewinnung, um Nährstofsverluste zu vermeiden. 
Man wollte deshalb auch die Erträge pro Hektar oder Morgen bei diesen pflanzen 
gar nicht sonderlich steigern, weil die Rentabilität vielleicht zu gering war. hätte man 
gut gepflegte Wiesen und Weiden angelegt und die entsprechende Trocknungsindustrie 
gefördert, so hätten die Massenabschlachtungen an Schweinen und Rindern während 
des Krieges nicht erfolgen brauchen. Dabei hätte man die Anbauflächen für Brot¬ 
getreide gar nicht allzu stark verringern müssen. Oie Sorglosigkeit, die in manchen 
wissenschaftlichen Röpsen damals spukte, geht aus folgendem Zitat hervor, das der 
Bonner Volkswirtschaftler und Halbjude Univ.-Prof. Or. Wggodzinski in der da¬ 
maligen nationalliberalen „Kölnischen Zeitung" gebrauchte: 
„In einer verhältnismäßig glücklichen Lage befindet sich die Landwirtschaft. Dank der 
Schutzzollpolitik ist sie auf einer höhe angelangt, die unsere Sicherstellung in bezug aus die 
Ernährung vollkommen garantiert." 
Das Gegenteil dieser Prophezeiungen trat ein. Man sah den Wald vor Bäumen nicht. 
Unsere Zehler und die positiven Maßnahmen Englands 
Das Jahr 1914 begann. Es kriselte schon in allen großen europäischen Staaten. 
Überall bereitete man sich bereits wirtschaftlich auf den kommenden Krieg vor, nur 
in Deutschland merkte man nichts davon. Zwar befaßte sich am 25. Mai 1914 der 
Wirtschaftsausschuß des Reichstages zum erstenmal mit ernährungswirtschaftlichen 
Fragen im Kriegsfälle. Dabei fanden die Anregungen des Vorsitzenden des Bundes 
der Landwirte, eine Getreidereserve zu sammeln, einmütige Zustimmung. Sogar 
ein Vertreter des liberalen Großbankkapitals, Roland Lüdke, konnte sich den Not¬ 
wendigkeiten einer derartigen Lebensmittelvorratswirtschaft nicht verschließen: 
„Diese Vorschläge von landwirtschaftlicher Seite sind für mich das unsympathischste, was 
ich kenne; ich gebe aber offen zu, daß der darin gewiesene weg der einzig mögliche ist." 
Die Verwirklichung dieser Vorschläge unterblieb aber. Man wollte wahrscheinlich 
Zeigen, daß die Friedensliebe des deutschen Volkes doch schon dadurch bewiesen sei,
	        
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