Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

von der unbekannten Materialnot 
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nach Ersatz für die Webstoffe aus, und so griff man auch zur einst als Webstoff be¬ 
nutzten Nessel zurück, die ein feines, technisch hochwertiges Garn liefert und in mancher 
Hinsicht der Baumwolle überlegen ist. 
Brauchbar ist nur die hohe große Brennessel (Urtica dioica), weil nur diese 
mindestens 60 cm lange Stengel hat. Oie niedrige Brennessel (Urtica urens) wird 
dagegen günstigenfalls 30 cm hoch. Oie hohe Brennessel wurde sogar eigens angebaut. 
Lei dem zunehmenden Mangel an Spinnstoffen aller Art wurde das Einsammeln 
der Brennesseln überall in die Wege geleitet. Es war allerdings nicht ganz einfach, 
sie zu verwenden, denn erst mutzten die richtigen Methoden der Fasergewinnung 
wissenschaftlich ausgeklügelt und geeignete Maschinen ersonnen werden. Aber es ging. 
So schätzenswert auch das Einsammeln der meistens wildwachsenden pflanzen 
war, weit mehr Erfolg mutzte man sich vom planmätzigen Anbau versprechen. Ge¬ 
eignetes Land, das vorläufig für andere Zwecke nicht zu verwenden war, gab es 
im Deutschen Reich in genügender Menge, vor allem die Gdländereien und Niede¬ 
rungsmoore. Oie Nessel-Anbau-Gesellschaft m. b. h. in Berlin, die die Aufgaben der 
Nesselfaser-Verwertungs-Gesellschaft mit übernommen hatte, richtete in der Nähe 
von Zehlendorf, dicht am Eeltower Ranal, eine Probeplantage von ungefähr 8 ha 
ein. Auch in der Nähe von Stettin, ferner im havelländischen Luch und im han¬ 
noverschen unweit Gifhorn legte die Gesellschaft derartige Plantagen in bisher un¬ 
genutztem Lande an. Für das Jahr 1918 versprach die Nessel-Anbau-Gesellschaft für 
den feldmäßigen Anbau der großen Brennessel eine einmalige Prämie von 400 Mark 
für jeden Hektar angebauter und von ihren Rulturbeamten geprüfter Flächen. 
Oie Gesellschaft allein bebaute 28000 lia Land. Auch die Verfahren, um die 
Nesselfaser zu gewinnen und zu verspinnen, wurden verbessert. Oie Fasern, die über 
dem Holzstengel der Nessel sitzen, sind durch eine Art Klebstoff miteinander ver¬ 
bunden. Vieser mutz entfernt werden, bevor man die Faser verspinnen kann. In 
verhältnismäßig einfacher Weise wurde die „Degummierung" durchgeführt. Es gab 
eine ganze Reihe von Fabriken, die die Ausschließung der getrockneten Nesselstengel 
vornahmen. Etwa 6 KZ trockene Stengel ergaben ein Hemd. Auch Nähfaden wurde 
aus den Fasern hergestellt. 
Im Jahre 1916 tauchte der Gedanke auf, Frauenhaare zur freien Verwertung 
zu sammeln. Damals trugen nämlich die Frauen noch lange haare und, um einen 
besonderen Reichtum vorzutäuschen, schwere falsche Zöpfe. Das von den Haar¬ 
künstlern benötigte Frauenhaar war vor dem Rriege zumeist aus fremden Ländern 
eingeführt worden, und da nun die Einfuhr aufhörte, so stieg der preis ganz erheb¬ 
lich. Deshalb bildete sich in Magdeburg eine hauptstelle im Roten Rreuz, die Frauen¬ 
haar sammeln, aber auch verarbeiten und den Gewinn an die liefernden Einzelstellen 
verteilen wollte. Es wurde eine große Organisation geschaffen, die aufklärende 
Werbeschriften (1500000 Flugblätter), Papiersammeltüten (2400000), Stoffbeutel 
(350000) und Säcke (1500) versandte. Nun erklärte aber im Mär; 1917 die Rriegs- 
rohstoffabteilung des preußischen Rriegsministeriums, Frauenhaar sei ein wichtiger 
Rriegsrohstoff als Ersatz für das fehlende Leder, Ramelhaar und Mohair, insbesondere 
zur Herstellung von Treibriemen dringend benötigt, und deshalb mutzten die be¬ 
schafften Mengen für diesen Zweck hergegeben werden. Somit mutzte die Haupt¬ 
sammelstelle in Magdeburg auf die Verarbeitung verzichten und sich auf die weitere 
Förderung der Sammlung in Deutschland beschränken. Den Sammelstellen wurde
	        
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