Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Gab es Schicksalsstunden im Weltkrieg und wann? 
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Die Schicksalsstunde der deutschen Marine 
16. Dezember 1914. 5 Uhr morgens. Neumond. Oie Nordsee östlich der Oogger- 
bank, etwa 150 Seemeilen (sm) von England entfernt, auf der Linie Pellworm—New¬ 
castle. Bei leichtem Westwinde hebt und senkt sich in schwacher Dünung die Ober¬ 
fläche des Nkeeres. hier und da durch schwache Bewölkung unterbrochen, leuchten 
die Sterne hernieder. Trotz guter Zernsicht vermöchte das Auge eines einsamen Be¬ 
obachters auf der weiten Fläche kein Zeichen eines Schiffs zu entdecken. 
Da steigt am östlichen Horizont eine Rauchwolke auf, gleich darauf eine zweite 
und dritte, je 6sm nördlich und südlich der ersten: drei deutsche leichte Nreuzer sind 
es, die, gefolgt von Torpedobooten, in voller Fahrt der Doggerbank zustreben. In 
der Niellinie des nördlichsten erscheinen nacheinander noch vier leichte Nreuzer, wäh¬ 
rend einige Seemeilen südlich und rückwärts des südlichen zwei Torpedobootsflottillen 
die hochaufschäumenden Wogen durchschneiden. Was aber bedeutet die ungeheure 
Rauchmasse, die setzt hinter dem mittleren Nreuzer „Roon" sichtbar wird? Die deutsche 
Schlachtflotte ist es, die dort in Niellinie heranbraust, der jene leichten Fahrzeuge 
Vorhut und Flankendeckung sind, voran I. und III. Geschwader, 14 modernste Gro߬ 
kampfschiffe, dahinter das II. mit 8 älteren Linienschiffen der „Deutschland"-Nlasse. 
Rn der Spitze des mittleren, des II I. Geschwaders führt „Friedrich der Große" die 
Flagge des Flottenchefs, des Admirals v. Zngenohl. 
Was ist das Ziel? Gilt es, die englische Zrgnck fleet zur Entscheidungsschlacht auf¬ 
zusuchen? Will die deutsche Marine, Naiser Wilhelms I I. ureigenste Schöpfung, end¬ 
lich ihr Gewicht in die Waagschale werfen, dem schwer ringenden Landheer Ent¬ 
lastung zu bringen? So kühne Gedanken dürfen die Brust des Flottenchefs nicht be¬ 
wegen,- mit Bleigewichten hat die Nlarineleitung seine Entschlüsse belastet. Nur einen 
Raid zu decken gilt es. Die mächtigen Schlachtkreuzer „Segdlitz", „Moltke", „Blücher", 
„v. d. Tann", „verfflinger", begleitet von 4 Nieinen Nreuzern und 2 Torpedoboots- 
flottillen, sollen mit harter Faust an Englands Tore klopfen, die bewaffneten Nüsten- 
plätze hartlepool, Whitebg und Scarborough beschießen. Die grand fleet gilt es durch 
kecke Tat herauszufordern, in die Nähe der „Deutschen Bucht" zu locken, damit sich 
für die deutsche Flotte günstige Bedingungen für eine Schlacht bieten. Solch Vorstoß 
mit kostbarstem Material an Englands Nüsten aber bedarf der Rückendeckung,- gar zu 
leicht könnten sonst überlegene britische Geschwader die Nreuzer abschneiden. Eine 
Aufnahmestellung für sie, 130 sm an sie genähert, will um 7 Uhr die Schlachtflotte 
erreichen, dort bis Mittag ausharren. 
Wird es zum Nampf kommen? Sorgenvoll ringt der Flottenchef mit den ihn 
bestürmenden Gedanken, verantwortlich ist er dem Naiser dafür, daß die Schlacht¬ 
flotte unversehrt bleibt. Nur nach „Nräfteausgleich" durch die leichten Streitkräfte, 
so bestimmte der kaiserliche Dperationsbefehl zu Beginn des Nrieges, dürfe „unter 
günstigen Umständen" die Entscheidungsschlacht gewagt werden. Freilich sollte „auch 
früher sich bietende günstige Gelegenheit" ausgenutzt werden. Aber wie solche er¬ 
kennen? Bald zeigte sich, daß die Engländer nicht daran dachten, durch enge Ein¬ 
schließung der Deutschen Bucht ihre kostbaren Schlachtschiffe deutschen Torpedo- und 
U-Boot-Angriffen auszusetzen, den „Nräfteausgleich" auf diese weise zu ermög¬ 
lichen! Zm September hatte Zngenohl Befreiung gesucht von den Fesseln, die eine 
das Wesen des Nrieges völlig verkennende Marineleitung den Operationen angelegt 
2 weltkriegsbuch
	        
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