Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Aus den Geheimnissen der Technik der Rriegrzeit 
mit den Ferngeschützen feuern, um die feindliche Licht- und Schallmessung irrezu¬ 
führen. Sorgfältig geheim gehalten, traten die Geschütze in der großen Schlacht in 
Frankreich im März 1918 zum ersten Male in Tätigkeit. — 
Paris befand sich in der Frühe des 23. Mär; 1918 in gedrückter Stimmung, denn 
die Deutschen hatten zwei Tage lang beim Angriff auf Amiens glänzende Erfolge 
erzielt, plötzlich hört man 7 Uhr vormittags eine Explosion vom Seine-Ufer her,' 
20 Minuten später schlägt ein Geschoß in der Straße Karl V. und dann eine Bombe 
im Straßburger Boulevard ein. Man wird unruhig, der Straßenverkehr hört auf, 
die Untergrundbahn stellt ihre Fahrten ein und man beginnt die Läden zu schließen. 
Mieder schlägt ein Geschoß ein! Kein Flieger ist zu sehen. Rühren die Bomben von 
Luftschiffen oder Flugzeugen her, die in einer ungeheueren höhe nicht mehr sichtbar 
sind? Bis um 2 Uhr nachmittags geht alle 20 Minuten ein Schuß nieder. 
Ein amtlicher Bericht meldet zur Beruhigung der Bevölkerung, es sei ein längerer 
deutscher Fliegerangriff erfolgreich abgeschlagen. Doch die pariser Zeitungen ver¬ 
muten anderes: Ein deutsches Geschütz soll neuartige große Geschosse abfeuern, die 
in einer gewissen Flughöhe mittels einer Pulverladung kleinere Geschosse abschießen 
und ihnen eine außerordentlich große Fluggeschwindigkeit erteilen. Oder die Ge¬ 
schosse rühren von einem in den Wäldern von Paris versteckten Geschütz her. 
Die Beschießung wiederholt sich die nächsten Tage über — es gibt verwundete 
und Tote. Die Regelmäßigkeit der Schüsse geht den Leuten auf die Nerven und 
viele verlassen Paris. Erst mit der Zeit beruhigt man sich und, als Anfang Mai die 
Beschießung aufhört, erklären die Behörden, die weittragenden deutschen Geschütze 
seien durch Fliegerbomben vernichtet worden. 
Unsere Ferngeschütze hatten nämlich ihre Tätigkeit vom 2. bis 27. Mai unter¬ 
brochen, weil eins der Geschütze mit dem fortschreitenden Angriff der 18. Armee 
in eine zweite Stellung bei Flavg-Le-Martel südöstlich Ham, 105 Km von Paris 
entfernt, vorgezogen war. Eine nördlich Thateau Thierrg vorgesehene dritte Stellung, 
85 Km vor Paris, wurde nicht mehr bezogen, da man am 9. August mit Zurück¬ 
verlegung der deutschen Front die Parisbeschießung vollständig einstellte. 
wie das Parisgeschütz beschaffen war? — Zn das schwere Rohr der 38-cm- 
Kanone war ein 21-cm-SeeIenrohr eingebaut, das eine Länge von 36 m hatte. 
Mit einer Geschützladung von 6 Ztr. Pulver erhielt das 2 Ztr. schwere Geschoß 
eine Anfangsgeschwindigkeit von 1500 bis 1600 m/sec. Oie größte Schu߬ 
weite wurde bei etwa 50° Rohrerhöhung erreicht,' hierbei lag der Scheitelpunkt 
der Flugbahn 40 Km über der Erde — eine höhe, in der der Luftdruck fast 0 ist 
(1,5 mm Quecksilbersäule). Oie Flugzeit betrug rund 3 Minuten. Um Blindgänger 
auszuschalten, hatten die Geschosse zwei Zünder. 
Oie drei Ferngeschütze wurden von uns beim Rückzug gesprengt, die übrigen 
vier noch unfertigen Rohre und sämtliche Kruppschen Maschinen zur Herstellung 
der Parisgeschütze mußten laut Friedensvertrag vernichtet werden! 
Die Materialschlacht 
Oer Weltkrieg hat mit seinem Stellungskrieg die Materialschlacht geboren. Im neu¬ 
zeitlichen Großkampf genügt zum Siege nicht mehr der Mut und die Kraft der fechtenden 
Truppen,' auch die Zahl der von den Kämpfern bedienten Maschinen und deren 
gewaltige Wirkung ist für den Ausgang der Schlacht von entscheidender Bedeutung.
	        
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