Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

Walter Nicolai 
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besonders unter den durch vorhergehende Kriege doppelt kriegsmüden Bulgaren und 
Türken die Überzeugung, daß ihr Kriegsziel mit der Niederwerfung Rußlands erreicht 
sei und ein Weiterkämpfen nur den Interessen Deutschlands diene. So war sowohl 
der Zusammenbruch Bulgariens wie derjenige Österreich-Ungarns kein Sieg der 
feindlichen Waffen, sondern der Triumph der vom Zeindbund betriebenen Propa¬ 
ganda. 
Vie Barriere im Gsten gegen die Zeindpropaganda 
ver deutsche Nachrichtendienst versuchte, die Heimat gegen den Einfluß dieser 
Entwicklung abzuriegeln. Im Gsten wurden die Weichsel und die Warthe als Barriere 
ausgebaut und die Grenze gegen Österreich-Ungarn unter strenger Kontrolle ge¬ 
halten. Vieser Unordnung wurde in der Öffentlichkeit und auch im Reichstag leb¬ 
haft widersprochen, was ihre Durchführung erschwerte. Ulan begriff nicht, daß der 
drohende innere Zusammenbruch Vorsichtsmaßregeln, auch gegen die Verbündeten, 
verlangte, vie Oberste Heeresleitung mußte es sich versagen, ihr Vorgehen öffentlich 
zu begründen. Es wäre dies nur das Eingeständnis dessen gewesen, auf das der 
§eind als Zeichen der Sturmreife der deutschen Westfront wartete. Dies Zeichen gab 
ihm erst die offenbar werdende deutsche Revolution. Als Marschall Zoch den Befehl 
zum Generalangriff gab, tat er dies nicht infolge überlegener Reserven oder in Aus¬ 
nutzung errungener Siege, sondern im Besitz sicherer Nachrichten vom bevorstehenden 
inneren Zusammenbruch Deutschlands. Zm Besitz dieser sprach er auf den Einwand 
des englischen und eines französischen Armeeführers, sie könnten infolge Zehlens von 
Reserven nicht zum Ungriff antreten, sein „Trotzdem, en avant!" 
Diese Auffassung wird in der Geschichte Platz finden. Zn Veutschland war sie bis 
1933 leidenschaftlich umstritten durch den Parteigeist. Um so weniger hatte der Zeind- 
bund Anlaß, sie zuzugeben und die „Gloire" seines Waffenruhmes zu mindern, auf 
welchem Versailles aufgebaut ist. vennoch ist die Kenntnis der Wahrheit weit in 
der Welt verbreitet. Überall dort, wo man die Dinge ohne Teilnahme des Herzens 
oder des Eigennutzes betrachtet. Die Militärattaches der neutralen Staaten, zu 
welchen im ersten Teil des Krieges auch noch die vereinigten Staaten von Nord¬ 
amerika, Italien, Rumänien, China und andere gehörten, waren im Kriege dem 
Chef des Nachrichtendienstes unterstellt. Auch sonst bot sich ihm vielfach Gelegenheit 
der Aussprache mit hervorragenden neutralen Politikern, Wirtschaftlern, Soldaten, 
Gelehrten und Journalisten. Es ist etwas ganz anderes, mit jemand zu sprechen, der 
die Dinge ohne Teilnahme des Herzens, ohne eigenes Wünschen und ohne Partei¬ 
nahme sieht, wie sie sind. Die Klarheit dieses Bildes über das Schicksal, welches 
Deutschland vom Zeindbund bereitet werden sollte, war ebenso erschütternd wie das 
Bild von der politischen Zerrissenheit und Zührerlosigkeit des deutschen Volkes und 
ihren unabwendbaren Zolgen. Erschütternd besonders auf dem Hintergründe der be¬ 
wundernden Anerkennung seiner Leistungen als Volk und Heer. Und wenn der 
Deutsche dann der Meinung Ausdruck gab, darum müsse Deutschland siegen, fand er 
staunendes Kopfschütteln über solchen deutschen Idealismus. Ich entsinne mich des 
Besuches eines hochstehenden Nordamerikaners bei Kriegsbeginn. Cr meinte, wir 
hätten bei der Obersten Heeresleitung wohl keine Karte. Mir dagegen schien, daß wir 
Karten genug hätten, allerdings nur solche vom Kriegsschauplatz. Der Amerikaner 
aber meinte eine solche von der Welt. Und wenn wir eine hätten, war er der Ansicht,
	        
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