Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Walter Nicolai 
Erfahrungen und Fortschritten. Dennoch blieb manches und vor allem das Wertvollste 
Ligenbesitz der einzelnen Staaten und wurde von ihnen im Interesse der militärischen 
Landesverteidigung geheim gehalten. Dies war nicht anders zu erfahren als durch 
einen organisierten geheimen Nachrichtendienst, der in England im „Intelligence 
Service", in Frankreich im „zweiten Büro", in Deutschland in der „Abteilung IIIB" 
des Generalstabs geleitet wurde. 
Reorganisation des deutschen Nachrichtendienstes 
von 1906 ab 
An der Spitze dieser Abteilung stand bei Beginn des 20. Jahrhunderts General 
Brose. Sein großes Verdienst ist, daß das wenige, was an Nachrichten- und Abwehr- 
dienst in Deutschland aus der Bismarckschen Zeit noch vorhanden war, wenigstens 
auf militärischem Gebiet erhalten wurde. Entsprechend der Friedenspolitik des 
Reiches war die Arbeit aber im wesentlichen auf die Abwehr gerichtet. Erst die An¬ 
zeichen einer gesteigerten Erkundungstätigteit Englands und Frankreichs, zu welchen 
sich nach demRussisch-JapanischenKriegeRutzland gesellte, veranlaßten im Jahre 1906, 
daß auch eine Reorganisation des deutschen Nachrichtendienstes in Angriff genommen 
wurde. Diese fand ihren Abschluß unter dem damaligen Major, späterem Ehef der 
Heeresleitung hege, welcher 1910 Ehef der Abteilung IIIB wurde. Im Frühjahr 1913 
übernahm ich von ihm dies Amt, 39jährig und gerade zum Major befördert. Ich 
führe das an als Beweis, daß das deutsche Sgstem des Nachrichtendienstes und der 
Abwehr auch damals noch kein ausgedehntes war, wenn bei der damals herrschenden 
Regel seine Leitung einem so jungen Offizier übertragen wurde. 
Dauernde politische Krisen und bedrohliche Nachrichten über die Rüstungen bei 
den Feindmächten deuteten auf den nahen Krieg. Aber auch der Generalstab ahnte 
nicht, daß der Krieg so nah bevorstand. Trotz des Fürstenmordes in Sarajevo begab 
sich der Ehef des Generalstabs v. Nloltke Anfang Juli 1914 zur Rur nach Karlsbad 
und trat auch ich als Ehef des Nachrichtendienstes einen mir bis Mitte August be¬ 
willigten Urlaub an. Im herbst des Jahres hoffte ich als Militärattache in Lern 
Verwendung zu finden, um das diplomatische Leben durch Mitarbeit und die Schweiz 
als damals schon hervorragenden Tummelplatz des internationalen Nachrichten¬ 
dienstes aus eigener Anschauung kennenzulernen und dadurch meine Kenntnisse und 
Fähigkeiten für einen späteren Ausbau des deutschen Nachrichten- und Abwehrdienstes 
zu erweitern. 
Es wurden nur unzulängliche Mittel 
für den deutschen Nachrichtendienst bewilligt 
Während nach dem Krieg von 1870/71 nur Frankreich als Feind galt, nur sein 
Nachrichtendienst bekämpft und nur ein Nachrichtendienst gegen diesen „Erbfeind" 
gepflegt wurde, wurden die Vorarbeiten des Generalstabs seit dem Jahre 1906 vom 
Zwei-Fronten-Krieg beherrscht und dementsprechend Nachrichtendienst und Abwehr 
auch gegen Rußland ausgedehnt. Über Englands Rolle im Falle eines Krieges waren 
die Meinungen geteilt. Sein Nachrichtendienst galt offensichtlich nur der deutschen 
Flotte. Deshalb wurde auch die Abwehr gegen ihn und die Beobachtung Englands 
dem Admiralstab überlassen. Die Mittel, welche dem deutschen Generalstab zur Der-
	        
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