Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Gottfried Bettn 
scheu Krönt, mal näher, mal weiter, jeden Augenblick konnten die Alliierten zurück¬ 
kommen, auf des Messers Schneide jede Stunde. Eine geringe Besatzung von Land¬ 
sturmmännern die Aachen—Brüsseler Lahn entlang, die einzige Zufuhrstrecke für 
Etappe und kämpfende Armeen. Line schwache, inaktive deutsche Truppe hielt die 
Hauptstadt, die schöne impulsive, aufgeregte, haherfüllte Hauptstadt,' an ihrer Spitze 
ein Oberbürgermeister, der offen gegen die Verordnungen des deutschen Romman¬ 
danten handelte,' die Bevölkerung von völlig unverdeckter Feindschaft,' die nationalen 
Karben und Rokarden handtellergroß an Hut und Rnopfloch, an Schirm und Schlips,' 
Überfälle nachts, Gefahr in den Straßen, verbot für Soldaten, allein auszugehen, 
Angriffe auf Eisenbahnen, Sprengungen an Tunnels, Attentate auf Truppentrans¬ 
porte, also unsichere Lage, unentschiedener Rrieg. 
Vas Land durchzogen von Organisationen der feindlichen Macht. Zur Beobach¬ 
tung des Gegners, zur Sammlung der nationalen Rräfte, zu aktiver Operation. Dazu 
ein geheimer Nachrichtendienst von unerklärlicher Präzision: jeder Schritt der deutschen 
Krönt vorwärts oder rückwärts schon nach Minuten bekannt und auf den Mienen 
der Klanierenden abzulesen, jeder Vorgang bei uns, jedes militärische Ereignis der 
Etappe unverzüglich zu den Alliierten weitergefunkt, vor allem aber die Tätigkeit 
der Sammlung, Werbung und Organisation der wehrfähigen Belgier und ihr nächt¬ 
licher Transport in Etappen über die holländische Grenze bis zu den Lntentedepots. 
Zahllose Spionageprozesse von seiten der deutschen Rriegsgerichte, und immer 
stellte es sich heraus: 
Krauen hatten gehandelt, Krauen angeblich die Pläne ersonnen, die 
Taten vollbracht 
Krauen wurden nicht erschossen, Krauen wurden nach Aachen gebracht, mit Arbeit 
beschäftigt, und bei Rriegsende stand ihnen Belohnung und Heldenruhm bevor. Die 
Männer waren immer harmlos und halten die Rüche besorgt. Zn den Krauen glühte 
das Keuer, sie waren die Häupter der Organisation. Vas schwache Geschlecht — konnte 
man die Strafe gegen sie vollstrecken? 
Der Prozeß gegen Edith Eavell galt etwa zwanzig Angeklagten, an ihrer Spitze 
die Engländerin. Sie waren eine dieser Organisationen. Ihre besondere Tätigkeit 
hatte darin bestanden, die aus den herbstschlachten 1914 in Nordfrankreich und Bel¬ 
gien zurückgebliebenen, teils verwundeten, teils flüchtigen Engländer und Franzosen 
zu sammeln, zu pflegen, zu verbergen und mit den wehrfähigen Belgiern zusammen 
nach Holland zu transportieren. Sie waren ein eingearbeitetes Sgstem. Seine Zentrale 
war die Wohnung von Miß Eavell in Brüssel gewesen. Miß Eavell, als Engländerin 
seit langem von den deutschen Behörden aus Belgien ausgewiesen, blieb in der Stadt 
und blieb der organisatorische Antrieb. Miß Eavell wohnte schon seit Zähren in 
Brüssel, war von Beruf Lady nurse, hatte Rindergärtnerinnen ausgebildet, war 
eine Zeitlang Pflegerin im Rrankenhaus St. Gilles gewesen und hatte bei Rriegs- 
ausbruch unter der Kirma einer Rote-Rreuz-Ambulan; ihre Behausung zu diesen 
politischen Zwecken eingerichtet und ausgebaut. Ihre verbotene Tätigkeit erstreckte 
sich vom August 1914 bis zum Sommer 1915, wo sie verhaftet wurde. 
Nun begann der Prozeß. Interessante Verschwörer, soziales Durcheinander: die 
belgische Prinzessin Trog, die französische Gräfin Belleville, Intellektuelle, Rechts-
	        
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