Volltext: Was wir vom Weltkrieg nicht wissen

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Unterlassungssünden in der Rüstung 
Auch wenn die 3 im herbst 1913 neu zu bildenden Norps bei Kriegsausbruch 
noch nicht ganz vollwertig gewesen wären, so würden sie doch jedenfalls kampf¬ 
kräftiger gewesen sein als die ohne jede Friedensvorbsreitung in aller Eile überplan¬ 
mäßig aufgestellten Reservekorps, die man im herbst 1914 an der Ijser einsetzte, 
um die erstarrte Westfront wieder in Gang zu bringen. Trotz allem Opfermut und 
glänzender Tapferkeit konnten die in diesen verbänden kämpfenden jugendlichen 
Kriegsfreiwilligen ihre schwere Aufgabe nicht läsen, weil sie ungenügend ausgebildet 
waren und von kampfbegeisterten, aber großenteils überalterten Offizieren geführt 
wurden. 
Nicht genügendes Zusammenwirken verantwortlicher Dienststellen 
Großadmiral v. Tirpitz erwähnt in seinen Erinnerungen, die britische Armee sei 
bei uns unterschätzt worden. In unserem Publikum habe man sie sich immer noch 
gern „in der Art der Adlershot-Tommies mit Mützchen und Spazierstock" vorgestellt. 
Als er den Generaloberst o. Moltke bei Kriegsausbruch gewarnt habe, die Engländer 
zu gering zu bewerten, habe dieser geantwortet: „vie arretieren wir", und bei 
anderer Gelegenheit habe er geäußert: „Je mehr Engländer, desto besser." — „Wir 
sind eben nicht nur politisch, sondern auch militärisch in den Krieg hineingetapert", 
heißt es im Anschluß daran. 
Richtig ist, daß 1914 viele Deutsche von der englischen Kriegserklärung völlig 
überrascht wurden, — eine Folge mangelnder politischer Einsicht und ungenügender 
Aufklärung durch die Presse. Was dagegen die wiedergegsbenen Äußerungen Rloltkes 
betrifft, so kann es sich nur um ein Mißverstehen scherzhaft gemeinter Bemerkungen 
gehandelt haben. In Wirklichkeit war sich der Generaloberst vollkommen im klaren 
darüber, daß das englische Expeditionskorps ein durchaus ernst zu nehmender Gegner 
sein würde. Aus den Denkschriften des Generalstabes geht dies deutlich hervor. 
Lehrreich ist aber an den Aufzeichnungen des Großadmirals, daß vor dem Kriege 
zwischen den höchsten Stellen von Heer und Flotte nicht die Fühlung bestanden haben 
kann, die notwendig gewesen wäre. Sonst wäre es kaum denkbar gewesen, däß hin¬ 
sichtlich der Einschätzung unserer voraussichtlichen Kriegsgegner durch den General- 
stab beim Staatssekretär des Rsichsmarineamtes derartige Irrtümer bestanden. 
Noch auffallender ist, was Tirpitz weiter schreibt: „Bei Ausbruch des Krieges war 
ich überrascht, zu erfahren, daß der mir geheimgehaltene Gperationsplan der Marine 
nicht vorher mit der Armee vereinbart worden war. Die Armee ging von der für sie 
wohl erklärlichen Auffassung der Seekriegführung und überhaupt des Krieges gegen 
England als einer Nebensache aus." — hierzu ist folgendes zu bemerken: Der frühere 
Operationsplan der Marine von 1909, der vorsah, den Gegner mit allen verfüg¬ 
baren Hochseestreitkräften sofort anzugreifen, war dem Ehef des Generalstabes der 
Armee bekannt und entsprach seinen Wünschen. Im Jahre 1914 wurde er indessen 
aufgegeben und durch einen anderen ersetzt. Man wollte den Gegner nunmehr 
zunächst nur durch kleine Unternehmungen schwächen und erst, wenn dadurch ein 
Kräfteausgleich geschaffen war, unter günstigen Umständen die Schlacht wagen. Diese 
wesentliche Änderung ist dem Generalstabe tatsächlich nicht mitgeteilt worden h! So 
wichtig die Geheimhaltung beabsichtigter kriegerischer Maßnahmen ist, — hier war 
*) Reichrarchiv, Weltkrieg, Bb. I, S. 20 
6 weltkriegrbuch
	        
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