Volltext: Der Weltkrieg

Und diese matte Müde wohnte leider auch sonst in weiten 
Schichten des deutschen Bürgertums, in dem sie sich im Denken, 
Reden und Handeln dem kategorischen Imperativ der moralischen 
Kriegspflicht entzog, zu dem sich jeder daheim hätte verbunden 
fühlen müssen. Das deutsche eigenbrötlerische Einzeldenken, das 
sich so schwer dem Staatsbegriff und der Staatsnotwendigkeit unter¬ 
ordnet und aus dem Deutschen den unpolitischsten aller Men¬ 
schen macht, entfaltete sich manchmal in einer erschütternd müden 
Selbstsucht — unbelehrt und ungeführt von dem Hauptschuldigen, 
dem Staat. 
Und es war doch noch soviel, so unendlich viel in Deutschland zu 
einem neuen „Sturm des Herrn" zu entfachen, wenn nur der rechte 
Mann kam. Es war ja immer noch solch eine herrliche Stimmung 
in dem herrlichen deutschen Volk! Und manch einem wurde das Auge 
feucht, wenn er so oft das Bild des ausziehenden Landstürmers 
sah: der bärtige Vater führte an der Hand das Bübchen mit bis 
zum Bahnhof und neben ihm, außerhalb der Kriegerreihen, schritt 
seine Frau und trug ihm das mit einem Blumensträußchen ge¬ 
schmückte Gewehr. 
Und dann ging sie heim, die Kriegerfrau, und nahm tapfer allein 
den Kampf mit dem Leben auf. 
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Die Frau 
Und daheim wartet das Lädchen. Der Mann war bisher die Seele 
vom Geschäft. Sie, die Frau, hat vielleicht geholfen, die Kunden be¬ 
dienen. Aber jetzt kommen die Geschäftsreisenden mit ihren Muster- 
köfferchen, der Steuerbote mit der Gewerbesteuer. Der Briefträger mit 
dem fälligen Wechsel. 
Und da ist das leere Kontor, durch dessen Fenster man überm Hof 
die Fabrikschornsteine steht. Da hat einer gesessen und diktiert und tele¬ 
phoniert und disponiert. Und auf dem Bürotisch häufen sich die Zu¬ 
schriften der Behörden, der Rechtsanwälte, der Geschäftsfreunde. 
Da ist — wo ist ein Ort in Deutschland, wo nicht der Mann fehlt? 
Nur in den kriegswichtigsten Betrieben sind sie noch da: die Munitions¬ 
arbeiter, die Bergleute, die Lokomotivführer. Sonst ist alles draußen. 
Nicht nur bis zum 45. Lebensjahr. In den höheren Schichten ist fast 
alles hinaus — bis zum biblischen Alter —, was sich noch irgendwie da 
nützlich machen kann. Man sieht an der Front greise Jünglinge mit dem 
Eisernen Kreuz erster Klasse von 1870 und daneben das von 1914. 
Daheim aber geht der Ruf durch Deutschland: Frauen an die 
Front! 
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