Volltext: Unteilbar und untrennbar (1,1919)

20 
Vor dem Sturm. 
und sollte es bleiben, mehr als je: das war der gemeinsame 
Wunsch beider beteiligter Staaten. Doch der erste Anlaß, 
bei dem die Monarchie ihr Anrecht betonen zu müssen glaubte, 
weckte bereits einen Entrüstungssturm. 
Graf Ährenthal, der seit Ende des Jahres 1906 die äußere 
Politik Österreich--Ungarns leitete, kündigte am 27. Jänner 
1908 in den Delegationen den Bau der Sandschakbahn an. 
Nach dem Berliner Vertrage stand der österreichisch-ungarischen 
Regierung das Recht zu, Bahnverbindungen durch den Sand- 
schak Novibazar zu legen, und wenn sie durch 30 Jahre davon 
keinen Gebrauch gemacht hatte, so war dies Recht ebensowenig 
verjährt wie der Vertrag. Die neue Bahn sollte einerseits an 
die bosnischen Linien anschließen, andrerseits an die türkische 
Linie Mitrovitza-Saloniki, also direkt an das Ägäische Meer. 
Der wesentliche Vorteil für Hster- 
reich - Ungarn wäre gewesen, daß 
hier ein direkter Weg gegen die 
Levante geöffnet war, indes bei 
den bisherigen Verbindungen um 
sere Waren Serbien zu passieren 
hatten, eben dasselbe Serbien, das 
seine Gegnerschaft gegen die Mo- 
narchie gar nicht mehr verhüllte 
und gerade dem Handel die größ- 
ten Schwierigkeiten in den Weg 
legte. Für die Wirtschaftspolitik 
der Monarchie war es ein Lebens- 
interesse, direkt mit seinem groß- 
ten Konsumenten in Verbindung 
zu stehen, auch militärisch war es 
von hoher Wichtigkeit für beide 
Staaten, in ununterbrochenem, 
unkontrolliertem Verkehr zu sein. 
Staatsmännisch war aber damit 
zugleich ausgedrückt, daß bei einem 
Zerfall der Türkei, an dem Ruß- 
land und die Balkanstaaten so 
emsig arbeiteten, Hsterreich-Ungarn 
nicht gleichgültig bleiben werde 
und die Richtung seines Willens 
,,au dela de 
Mitrovitza" ge- 
gen das Ägäische 
Meer sich frei- 
kämpfen müßte, 
wollte es nicht 
eingeschnürt wer- 
den, um politisch 
und wirtschaftlich 
zu verkümmern. 
Ein Protest ge- 
gen diesen Bahn- 
bau war selbst- 
verständlich aus- 
geschlossen: das 
Recht Österreich- 
Ungarns war 
vertraglich un- 
anfechtbar, die 
Zustimmnug des 
Sultans, des 
einzig Beteiligten 
gegeben. Selbst 
die feindliche Diplomatie vermochte in dem durchaus 
legalen Vorgange keinen Span zu finden, um Entrüstungs- 
flammen zu entfachen, aber das inoffizielle Ausland, die 
Presse, schlug mächtig Lärm. Eine Initiative Hsterreich- 
Ungarns, des totgeglaubten Staates, wurde als eine un- 
erhörte Anmaßung empfunden: man verstand gar nicht, 
daß auch die Monarchie, genau so wie die andern Nationen, 
wirtschaftliche Aspirationen haben könnte. Es hagelte Angriffe; 
Frankreich machte das böse Deutschland verantwortlich, Eng- 
land war mißmutig, Italien eifersüchtig, selbst Deutschland 
sah ungern die Brudermonarchie auf eigene Faust handeln. 
Am meisten wetterte natürlich Serbien, dem in der Er- 
regnng zum erstenmal das Einbekenntnis seiner Absichten auf 
Bosnien und den Sandschak entschlüpfte. Es protestierte, 
Zarskoje Selo, die Residenz des Zaren.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.