Volltext: Unteilbar und untrennbar (1,1919)

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Vor dem Sturm. 
lichen Emsigkeit König Eduards zur herrschende« entwickeln 
sollte. Frankreich wurde vollinhaltlich unterstützt von England 
und Rußland, seinen Verbündeten, Spanien interessierte sich 
nur für seine eigenen Rechte. Weniger festgefügt zeigte sich der 
Dreibund. Italien, das in den Mittelmeerangelegenheiten 
mehr auf Frankreich und England zu geben meinte und im 
Begehren Frankreichs nach Marokko die Sicherheit seiner Gleich-- 
gültigkeit gegen Tripolis sah, vertrat den französischen Stand-- 
punkt. Deutschland hatte nur einen Freund, den wackern 
Sekundanten, wie Kaiser Wilhelm dankend in seiner Depesche 
sagte: Hsterreich-Ungarn. Der Bund zwischen Habsburg und 
Hohenzollern war auch dort als ehern und unzerstörbar vor der 
Welt bekräftigt und nicht zum Geringsten sicherte das Bewußt-- 
sein dieser Festigkeit — sowie die Schwäche Rußlands — den 
Frieden. Aber um diese beiden Länder, die einzigen Europas, 
die keinen Machtzuwachs begehrt und gefordert hatten, war, 
weil sie die Rechte freier unabhängiger Staaten schützten, all-- 
mählich ein Kreis der Machtgierigen gerundet. König Eduard, 
der sah, daß jenes Bündnis mit Frankreich noch nicht ausreiche, 
um Deutschland zu demütigen, begann, neue Helfer zu werben. 
Nach Spanien ging die erste Reise, wo dem jungen König eine 
englische Prinzessin angetraut wurde, auch Rom wurde besucht, 
mit der offenkundigen Absicht, in der losen Fügung des Drei-- 
bunds eine vollständige Abspaltung Italiens zu erzielen, mit 
Rußland wurden jetzt, da es ungefährlich gemacht worden war, 
Verhandlungen wieder aufgenommen. In Frankreich züngelten 
in allen Zeitungen die Flämmchen auf, die Kriegspartei wurde 
unruhig, seit sie in England einen Werber und Agitator ihrer 
Absichten wußte. Immer enger spürten Deutschland und 
Österreich-Ungarn die Einkreisung; aber sie hielten die Hand 
fest am Schwert und ließen unbesorgt Argwohn und Neid um 
sich wuchern, ihres Rechtes gewiß und ihrer vereinten Stärke. 
Von Mürzsteg bis zur türkischen Revolution (1903—1907). 
Niemals war die Tatsache offenkundiger, daß alle Unruhe 
des Balkans immer nur von Rußland künstlich erregt worden 
war, als in jenen Jahren, da das Zarenreich keine Zeit und 
keine Kraft hatte, um seine Zerstöruugspläne gegen die Türkei 
durchzuführen. Während des russisch-japanischen Krieges 
Gras Goluchowski, österreichisch-ungarischer Minister des Auswärtigen. 
bricht die immer lodernde, immer zuckende Flamme der Balkan-- 
aufstände plötzlich in sich' zusammen: es fehlt die Schürung 
von Petersburg, der panslawistische Atem und vor allem der 
Rubel, der alle jene Guerillakriege ins Rollen brachte. Alle 
Freiheitsbestrebungen sterben plötzlich ab und Mazedonien, 
eben noch in voller Gärung, bietet, während Rußland alle 
seine Kräfte aufrafft, um den gelben Gegner niederzuringen, 
das Bild vollkommener Ruhe. 
Freilich: die russische Diplomatie wünschte diese Ruhe nur 
so lange, als sie selbst außerstande war, von einer Unruhe zu 
profitieren. Und sie wünschte vor allem, daß alles unver- 
ändert bleibe, bis sie wieder Kraft genug habe, sich einzu- 
mengen und nach Aufwühlung des ganzen Landes für sich im 
Trüben zu fischen. Um jeden Preis mußte verhindert werden, 
daß während der Abwesenheit Rußlands von der europäischen 
Arena Österreich-Ungarn oder eine andere Großmacht seine 
Stellung im Balkan befestige. Frankreich, England, Italien, 
Deutschland hatten bestenfalls wirtschaftliche Interessen, so 
ging die Bemühung dahin, Österreich-Ungarn durch Verträge 
die Hände zu binden, solange Rußland die seinen nicht frei 
hatte. Man mußte jetzt freundlich sein und die Krallen ein- 
ziehen. Und das panslawistische Programm wurde hinter den 
Ofen gehängt, solange das asiatische noch nicht erledigt war. 
Aufstände in Mazedonien boten einen angenehmen Vor- 
wand, mit Österreich-Ungarn anscheinend loyal zu verhandeln. 
Diese Ausstände waren nach einem bestimmten System angelegt: 
Banden aus Bulgarien und Serbien, Komitatschis genannt, 
brachen in türkisches Gebiet ein, sengten und brannten die 
Heimstätten friedlicher Mohammedaner nieder, ermordeten 
nicht nur Gendarmen, sondern auch Frauen und Kinder. 
Setzten sich aber die Türken zur Wehr oder entsandten sie Sol-- 
daten gegen jene Banden, so wurde von den kleinen Staaten 
— die natürlich das Uberschreiten ihrer Grenzen durch diese 
bewaffneten Haufen nie merkten — verzweifelt in die Welt ge- 
schrien, die Türkei mißhandle ihre christlichen Untertanen. 
Selbstverständlich waren diese Bandenbewegungen auch genug 
gut organisiert, um sofort eingestellt werden zu können, sobald 
Europa die Geduld verlor und energisch Ruhe forderte. 
Das Frühjahr 190z war von Bulgarien und Serbien für 
eine besondere Aktion ausersehen: ein Albanesenaufstand war 
inszeniert als Einleitung einer einheitlichen aufständischen Be-- 
wegung. Aber Rußland wünschte die Sache vertagt, um in 
Japan freie Hand zu haben. Für den Fall aber, daß dennoch 
irgendetwas sich ereigne, während seine Truppen in Ostasien 
beschäftigt waren, sollte Österreich-Ungarn festgelegt werden. 
Und im Herbst 1903erschien der Zar in Wien. 
Zu Mürzsteg, am 2. und 3. Oktober 1903 wurde Österreich- 
Ungarn die Fessel angelegt. Die Diplomatie war von Graf 
Goluchowski vertretender nur Frieden um jeden Preis wünschte
	        
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