Volltext: Unteilbar und untrennbar (1,1919)

312 
Krieg gegen Rußland 1914. 
Die 4. und 1. Armee hatten sich am 22. August enger 
zu versammeln und die Aufklärung zwischen Bug und Weichsel 
fortzusetzen. 
GdJ. v. Kövess hatte das XII. Korps nach Przemys- 
läny—Swirz, das III. zum Anschlüsse an die 3. Armee in den 
Raum um Lemberg zu senden; 
GdK. von B r u d e r m a n n die bereits verfügbaren 
Teile des XIV. Korps möglichst rasch bei Lemberg, das Gros 
der ihm unterstellten Kavalleriekörper gegen die unter dem 
Eindrucke des feindlichen Einbruches von Brzezany nach 
Zbor6w vorgeschobene 11. Jnsanterietruppendivision zu ver- 
sammeln. 
An der unverzüglichen Heranführung der 2. Armee vom 
Balkankriegsschauplatze zum Hauptkampfe wurde 
festgehalten, obwohl sich dort die Lage der über die untere 
Drina vorgegangenen 5. Armee schwierig gestaltet hatte. 
Nur der vorübergehende Einsatz des IV. Korps bei Zabac 
konnte zugestanden werden; von den übrigen Kräften der 
2. Armee wurde die 20. Honvöd-Jnfanterietruppendivision 
über Kakusz, das VII. Korps in den Raum von Zydaczüw 
an den Dnjestr instradiert, wo die ersten Staffeln um den 
25. August eintreffen konnten. 
Die dargelegten, mit zunehmender Klärung der Lage 
erlassenen Cinzelverfügungen ergänzte am Nachmittag des 
22. August ein zusammenfassender Befehl, der die Absicht 
einer Offensive gegen Nord unter gleichzeitiger Ab- 
wehr der von Nordost und Ost zu gewärtigenden feindlichen 
Angriffe aussprach. Der schon durch die bisherigen Dis- 
Positionen beträchtlich, zum Teil in Feindesland, gegen Norden 
geschobene Aufmarsch der 1. und 4. Armee, die ihre Vor-- 
ruckungsziele ohne wesentliche feindliche Einwirkung 
reichten, war am 2z. August noch weiter feindwärts in der 
Richtung gegen Lublin und Chokm vorzuverlegen. 
Die 1. Armee hatte an diesem Tage die Höhen nördlich 
der Tanew-Waldregion von der Weichsel bis Frampol in Besitz 
zu nehmen; 
die 4. Armee mit ihren vorderen Armeekörpern in der 
Linie Tereszpol—Potylicz zu gelangen und die rückwärtigen 
nachzuziehen, 
die 3. Armee, einschließlich des herankommenden 
III. Korps, sollte sich im Räume Magierüw—Zülkiew— 
Kuliküw und östlich Lemberg bis zum 25. August versammeln 
und feindliche Einbrüche aus den Richtungen Sokal, Rad-- 
ziechüw und Brody abweisen, 
GdJ. v. K ö v e s s die Vorrückung des auf Tarnopol und 
südlich davon angesetzten Feindes verzögern. 
Angesichts der den friedenstörenden An-- 
g r i ffs a b si ch t e n der Entente entsprechen- 
den, geschickt verschleierten frühzeitigen 
Mobilisierung und Bereitstellung der 
russischen Streitkräfte hatte die öster- 
reichisch--ungarische Heeresleitung die 
regelmäßige Vollendung des Aufmarsches 
auf dem nördlichen Kriegsschauplatze nicht 
abwarten können, wenn sie die Freiheit 
des Handelns bewahren und ihre Aus-- 
gäbe, die Hauptmasse des feindlichen 
Heeres auf sich zu ziehen, lösen wollte. 
Tatsächlich war es bereits höchste Zeit zum Angriff, da 
ein großer Teil des russischen Heeres seinen Aufmarsch schon 
vollendet hatte und sich an und teilweise über unsere Landes- 
grenze starke feindliche Kräfte vorzuschieben begannen. 
Die Durchführung der am 22. erlassenen Anordnungen 
führte daher in nächster Zeit, und zwar zuerst bei der 1. Armee, 
deren Vortruppen am 22. abends schon in der Linie Frampol-l- 
Janüw—Zakliküw standen, zu großen Kämpfen. 
Überblickt man die Lage des österreichisch-ungarischen 
Nordheeres am Abende des 22. August, zwei Wochen nach 
Beginn der großen Eisenbahntransporte, so bietet sich im 
großen etwa folgendes Bild: 
Die Haupt kraft in der Front Niemirüw—San- 
mündung rechts gestaffelt, westlich der Weichsel durch eine bis 
an die Ezarna und nach Kielce vorgerückte Gruppe gesichert, 
einschließlich dieser rund z?o Bataillone, 150 Eskadronen und 
150 Batterien stark, zur Offensive gegen^die zwischen 
Weichsel und Bug gemeldeten starken feindlichen Kräfte bereit; 
eine zweite, schwächere, ungefähr 200 Bataillone, 
170 Eskadronen und 130 Batterien zählende Heeresgruppe 
in Versammlung gegen den Mum von Lemberg, um feind-- 
lichen Einbrüchen in Ostgalizien entgegenzutreten, aber auch 
imstande, erhebliche Kräfte für die Hauptoperation in nörd-- 
licher Richtung abzugeben. 
Aus diesen Verhältnissen entwickelten sich die Schlachten 
zwischen Weichsel und Bug und in Ostgalizien. 
Grenzkämpfe. 
Bereits im Frieden waren von der österreichisch-ungari- 
schen Heeresleitung — getreu dem an unserem Kriegs-- 
Ministerium eingemeißelten Spruche: „Li vis pacem, para 
bellum" — zum Schutze der Reichsgrenze im Kriegsfälle 
weitgehende, schon im vorhergehenden Kapitel angedeutete 
Maßnahmen getroffen worden. Ihre genaue Durchführung 
sollte feindliche Kräfte verhindern, sofort mit Beginn des 
Kriegsverhältnisses Mobilisierung und Aufmarsch der eigenen 
Truppen im Grenzgebiet durch Sabotageakte, etwa Störung 
des Bahn- und Telegraphennetzes, Handstreiche gegen mili- 
tärische Depots und dergleichen, empfindlich zu stören. Zu 
deutlich hatte die Geschichte der letzten Kriege gelehrt, daß ein 
kühner Schachzug unmittelbar bei Ausbruch der Feindselig- 
keiten von unberechenbaren Folgen für den Verlauf des ge- 
samten Kampfes sein kann, und Deutschlands jäher Ein- 
marsch im Westen gab dieser Erfahrung recht. Ähnlichen 
Überraschungen von Feindesseite galt es zu begegnen und 
Sorge zu tragen, daß nicht etwa mit Mord und Brand ein- 
brechende Kosakenhorden Staats- und Volksgut vernichten 
könnten. 
Die erforderliche erste Grenzsicherung oblag Gendarmerie, 
Finanzwache und territorialen Landsturmformationen aus 
dem Grenzgebiete, sowie den dort garnisonierenden Truppen 
des Heeres und der Landwehr, die mit der Alarmierung bei 
Kriegsausbruch im Friedensstand an die Grenze geschoben 
wurden. 
Der rasche, ungestörte Verlauf dieser Maßregel war für 
den eigentlichen Aufmarsch der Streitkräfte von höchster Be- 
deutung. Hatte sich doch feit Jahren bereits sowohl in Armee- 
kreisen als auch unter die Zivilbevölkerung die Besorgnis 
eingeschlichen, der an Kavallerie weit überlegene Nordost- 
gegner könnte bei Eintritt der Feindseligkeiten, möglicher- 
weise sogar, ohne die Kriegserklärung abzuwarten, Galizien 
und die Bukowina mit großen Reitermassen überschwemmen.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.