Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

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Festung eine ganz einfache und natürliche Sache wäre. 
Und es wird nicht wenige geben, die einen einjährigen 
Vorrat für die ganze Kriegsbesatzung samt Einwohnern 
als das Mindestmaß der Vorsorgen bezeichnen werden. 
Wie groß und wie zahlreich die Depots sein müßten, um 
diese Mengen, zu denen selbstverständlich auch Munition, 
Kohle, Petroleum, Benzin, technisches Material und Be; 
kleidung für die gleiche Dauer gehören, zu fassen, kann 
sich der Laie kaum vorstellen. Diese vielen großen Depots 
müssen erbaut, erhalten und vollendet werden, was bei der 
geringen, kaum für Erhaltung und Ausbau der Besestigungs; 
werke hinreichenden Dotation nicht zu bestreiten war. 
Damit wäre aber bei weitem nicht alles getan. Alle 
Lebensmittelvorräte sind auch bei bester Konservierung 
dem Verderben ausgesetzt und müssen, die einen früher, 
die anderen später, durch neue ersetzt werden. Mehl bei; 
spielsweise, das eine einjährige Lagerdauer hat, müßte un; 
unterbrochen von so und so viel Leuten konsumiert werden, 
als die Kriegsbesatzung stark ist. Aus dem Przemysler 
Verpflegsdepot müßten allein rund 100 ooo Mann — mehr 
als der vierte Teil des Friedensstandes der österreichisch; 
ungarischen Armee — ständig ihren Mehlbedarf decken. 
Welche Transportauslagen würden das Budget belasten, 
wenn alljährlich diese Mengen Mehl in die Festung befördert 
und dann wieder in das weite Gebiet der Monarchie ab; 
geschoben werden müßten. Vielleicht könnte der Verkauf 
an die Zivilbevölkerung die Kosten des Umsatzes verringern, 
doch hinsichtlich des Aufbrauches der Fleischkonserven kommt 
wohl nur das Militär in Betracht. Nun sind Konserven be; 
kanntlich ein teueres Verpflegs mittel. Die Ausgabe einer 
Fleischkonserve an die Mannschaft bedeutet den Verlust von 
etwa 80 Hellern, um welche der Anschaffungspreis den 
entsprechenden Teil des Menagegeldes übersteigt. Fleisch; 
konserven müssen aber innerhalb vier Iahren umgesetzt 
werden. Sollen also für 100 ovo Mann Konserven stets 
für 180 Tage bereitliegen, was die Sicherstellung der anderen 
Hälfte des Fleischvorrates als Lebendvieh voraussetzt, so 
müßte jährlich der vierte Teil von 18 Millionen Konserven 
umgesetzt werden. Dies würde die Einbuße von 4V2 Millionen 
mal 80 Heller oder 3 600 000 Kronen bedeuten, mehr als 
der halbe durchschnittliche Jahreskredit für den Ausbau 
der gesamten Reichsbefestigungen! 
Ähnlich liegen die Verhältnisse bezüglich aller übrigen 
Artikel sowie der Munition, was jährlich Summen ver¬ 
schlingen würde, die bei der notwendigerweise großen Anzahl 
von Befestigungen eines nach so vielen Richtungen zu 
sichernden Staates wie Hsterreich;Ungarn einfach als un; 
erschwinglich bezeichnet werden müssen. Nicht außer acht 
zu lassen ist aber noch ein Umstand, der gegen die Anhäufung 
allzu großer Vorräte spricht: Uneinnehmbare Festungen 
gibt es nicht. Ihre Widerstandsdauer hängt stets von den 
Mitteln ab, die der Angreifer gegen sie in Anwendung zu 
bringen vermag. Welche Überraschungen in dieser Richtung 
eintreten können, das lehrt der Fall von Namur, Mau; 
beuge und Antwerpen. Sind mehr Vorräte vorhanden 
als die Widerstandsdauer erfordert, so müssen sie vernichtet 
werden oder fallen dem Feinde in die Hände, beides in 
einem Kriege gleich bedenklich, wo die Verpflegssicherstellung 
der kriegführenden Staaten eine keineswegs unbedeutende 
Rolle spielt. 
Die vorangestellten allgemeinen Betrachtungen lassen 
es begreiflich erscheinen, daß sich die Heeresverwaltung 
damit begnügen mußte, im Frieden ständig als Sicherheit; 
itt Rußland. 
Vorrat der auf 85 ooo Mann und 3700 Pferde veran; 
schlagten Sicherheitsbesatzung gerade jenes Quantum in 
der Festung einzulagern, das in den Grenzen der verfüg; 
baren Geldmittel zum regelmäßigen Umsatz gebracht werden 
kann. Dazu traten die Regievorräte des dortigen Militär; 
verpflegsmagazins für den laufenden Bedarf der Friedens; 
besatznng als ein Überschuß, der allerdings im August, 
in welchem Monat der Krieg bekanntlich begann, am kleinsten 
ist, da die Einlieserungen auf Grund der neuen Ernte zu 
dieser Zeit erst zu beginnen pflegen. Nun nahm der sozu; 
sagen über Nacht eingetretene Kriegszustand die nach Prze; 
mysl führenden Bahnen zunächst für den Aufmarsch der 
Feldarmee vollständig in Anspruch. Es fügten sich nur so 
viele Züge für die Festung in die große Bewegung ein, 
als zur Beschaffung der dringendsten Notwendigkeiten er; 
forderlich waren. Je weiter die Versammlung der Armeen 
fortfchritt, desto mehr wurde Przemysl bedroht. Die vorne 
in rascher Folge sich abwickelnden Ereignisse stellten jedoch 
der Approvisionierung der Festung die größten Schwierig; 
keiten in den Weg. Durch den vorzeitigen Einbruch der 
Russen in Galizien waren unsere Armeen zum Schlagen 
von Schlachten gezwungen, ehe alle Aufmarschtransporte 
ihr Ziel erreicht hatten. Das Zurückströmen des rollenden 
Bahnmaterials aus Ostgalizien, der flüchtenden Bevölke; 
rung, der vielen Bergungsspitäler einerseits und der Ab; 
schub der Verwundeten andererseits verursachten Verkehrs; 
stauungen. Es bedurfte aller Energie des Armeeoberkom; 
mandos, um den Nachschub für die Armee durchzubringen. 
Trotzdem wurde Przemysl nicht vernachlässigt. Neben großen 
Munitionsmengen kam Zug um Zug mit Verpflegung in 
die Festung, wobei man sich nicht auf die normale Ver; 
Pflegsausrüstung beschränkte, sondern weit über den laufen; 
den Bedarf Vorräte zuschob. So kam es, daß am 16. Sep; 
tember, am Tage der Einstellung des Bahnverkehrs nach 
Przemysl, für 137 Tage Brot und Zwieback, für 147 Tage 
Gemüse, für 11? Tage Fleisch und für 392 Tage Hafer 
für den normierten Stand der Besatzung vorhanden war. 
Tatsächlich zählte aber die Besatzung aus den schon ein; 
gangs erwähnten Ursachen 131000 Mann und 11 000 Pferde, 
anderthalb mal soviel Mann und sasi sechsmal soviel Pferde, 
letztere insbesondere für die mobile Geschützreserve bestimmt, 
um diese möglichst beweglich zu machen. Bei der Abwehr 
der im Herbst mit unerhörter Heftigkeit unternommenen 
Angriffe der Russen fiel sowohl die Verstärkung der Be; 
satzung mit einer Honveddivision als auch die Beweglich; 
keit der Geschützreserve sehr ins Gewicht. 
Am 20. September begann die Einschließung des Platzes 
durch den Feind. Am 10. Oktober brachte das Vorrücken 
unserer Feldarmee den Entsatz. Das Vorrücken hatte sich 
unter äußerst schwierigen Verhältnissen vollzogen. Die 
Bahnen waren zerstört, ihre eiligst in Angriff genommene 
Wiederherstellung stockte zuerst an zwei mächtigen Hinder; 
nissen, die zum Neubau großer Brücken zwangen, am Wis; 
lok bei Rzeszow an der nördlichen und am San bei Zagorz 
an der südlichen Bahnverbindung mit Przemysl. Die beider; 
seits von Przemysl in ernste Kämpfe tretenden Armeen 
waren daher gänzlich auf den Straßennachschub ange; 
wiesen. Von dem damaligen Zustand der Straßen und 
Wege nach einem vierwöchentlichen fast ununterbrochenen 
Regen, der alle Naturwege unpassierbar machte, kann sich 
die kühnste Phantasie kaum einen Begriff machen. Viele 
Tausende von eigenen und feindlichen Fuhrwerken hatten 
die Straßen zermürbt, in ein Meer von Schlamm ver;
	        
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