Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

534 . Der Feldjug gegl 
Leute und vom mittleren Stande, aus allen Gegenden, hauptsächlich 
aber aus Belgrad. Diese haben im Verein mit den Eingeborene» 
dieses Plündern inszeniert, gleich als die Komite, genau um Mitter- 
nacht, mit Bomben die Auslagen und Türen der Geschäfte einju- 
werfen begannen. 
Als ich in die Hauptstraße kam, blickte ich links und rechts. Nichts 
war zu sehen. Es herrschte undurchdringliche Finsternis. Ferner 
ab lärmte eine Menschenmenge, da und bort blitzte der Schuß eines 
Gewehres auf: Komite und die flüchtenden Soldaten wechselten 
sie. Zwei — drei Geschosse sangen ihr Lied um mich und bewogen mich, 
in eine Seitengasse einzubiegen. Dieses Volk, welches an der Schand- 
tat teilnimmt, fürchtet und läuft nicht. Die wilde Leidenschaft war 
entfacht, die keine Furcht kennt. Niemand von diesen da fürchtete, daß 
ihn zufällig eine Kugel treffen könnte. Jeder trachtete nur, je mehr 
desto besser „Beute" zu machen, und so wurden in dieser Nacht gar viele 
Geschäfte geplündert. Beim „Diamantenkönig" gab es eine regelrechte 
Schlägerei. Bei dieser gab es auch blutige Köpfe, denn um die „Dia- 
manten" setzte man auch den Kopf aufs Spiel. Doch am ärgsten ging 
es dort zu, wo nicht nur geplündert, sondern die Ware einfach auf die 
Straße geworfen, zertreten, fortgeschleift und zerrissen wurde. So sah 
ich in der Morgendämmerung vor manchem Geschäfte im Straßenkot 
Zucker, Kaffee, Bonbons, Biscuits, Reis, Feigen, Kerzen, Chokolade, 
zerbrochene Flasche», in welchen Hl, Rum, Kognak und Liqueure 
waren, herumliegen. Alles nur mögliche gab es da durcheinander; 
kurz, vor jedem Geschäfte ein schauderhaftes Bild. Die Eigentümer 
aber, welche vom Kommenden wnßten, bewachten die ganze Nacht 
hindurch ihre Geschäfte oder kamen, wenn sie gescheit waren, noch 
rechtzeitig mit denen, welche den Nisern Rache anzutun drohten, 
überein. Als ich nach 2 Monaten von der Flucht nach Nis zurück¬ 
kehrte, hörte ich von vielen, daß es einem Griechen bloß 100 Dinars 
gekostet habe, um sein Geschäft zu retten. Wahrlich eine merkwürdige 
Sache! Diese Einbrecher, Plünderer nnd Vernichter wollten doch — 
so gaben sie an—bloß die Preistreiber bestrafen, und siehe da, sie selbst 
waren Preistreiber! 
Kaum war ich in eine Seitengasse gegen die Nisava eingebogen, 
um zu sehen, wie es auf dem König-Milan-Platze aussieht, fing von 
der Festungsseite her ein Höllenschießen an. Ein Jnfanteriefeldwebel, 
welcher gerade an mir vorbeiging, sagte mir was das bedeute, daß 
nämlich die Artillerie- und Gewehrmunition, sowie das Benzin für 
die Autos vernichtet würden. 
Ich kehrte schnell nach Hause. Da waren alle in größter Angst. Sie 
glaubten, die Bulgaren seien schon in Nis, denn dieses Schieße» ward 
so rege und schrecklich, daß es den Eindruck machte, als tobte ein Kampf. 
Dies dauerte mehr als 2 Stunden lang. Während dieser Zeit er- 
eigneten sich noch einige schreckliche Explosionen, herbeigeführt dnrch 
das Sprengen der Munition und der Brücken, welche sich in der 
Umgebung befanden. Besonders schrecklich war es, als die Eisen- 
bahnbrücke über der Nisava, auf der Strecke Belgrad—Nis, gesprengt 
in die Luft flog. Eiserner Nerven bedurfte es, um all dies aushalten 
zu können. Bis zu meinem Tode werde ich diese schreckliche Nacht 
nicht vergessen. Die Szenen, deren Augenjeuge ich war, prägten sich 
für immer in meine Seele ein. Dazu wäre es nicht gekommen, 
wenigstens nicht in dieser Form, hätte nicht alles den Kopf verloren, 
wären die Behörden nicht vorzeitig durchgegangen, denn ebenso wie 
viele von uns erst am 25. Oktober ohne Gefahr zn laufen flüchten 
konnten, hätten anch die Behörden ihre Pflicht bis zum letzten Augen- 
blick erfüllend, bleiben können. Die bulgarischen Vorposten kamen 
erst am 25. Oktober zu Mittag nach Nis. Man wußte ja, daß die 
Stadt nicht verteidigt wird und daß demzufolge auch keine Granate 
hineinfallen werde. Doch die Polizei hatte vor diesen gar große Angst. 
Aber sie tat es wie die Belgrader Polizei, die auch die Stadt so rasch 
verlassen hatte, daß sie nicht einmal Zeit fand das Gebäude und die 
Kanzleien zu schließen. Allerdings empfing der Kommandant der 
Donau-Division die Belgrader Polizei so liebenswürdig, daß sie 
sofort wieder nach Belgrad auf ihren Posten zurückkehrte. 
Jemand sagte mir auf der Straße, in der Festung stünden noch 
einige Militärautos und ich ging in der Hoffnung hin, daß es mir 
vielleicht doch gelingen könnte, mit Hilfe dieser fortzukommen. Es 
dürste schon 5 Uhr gewesen sein, als ich zur Festung kam. Vor ihrem 
Haupteingang stand keine Wache mehr. Erst vor der Kanzlei 
1 Serbien 1915/16. 
der Strafhausdirektion traf ich einen älteren Mann in der 
Uniform eines Sträflingsaufsehers. Ja, bestätigte er, dort oben 
stünden noch einige Automobile, welche vorhin aus Prokuplje ge- 
kommen seien und bald zurückfahren würden. Er und noch ein Kollege 
blieben da, weil in den Kasemate» noch einige schwere Verbrecher saßen. 
Die anderen — fügte er mit unterdrückter Stimme bei — ließen wir 
laufen wohin fie wollten. Diese schweren Verbrecher werden wir aber 
den Bulgaren, welche bis spätestens Mittag da sein dürften, übergeben. 
Da erinnerte ich mich, daß die Sirashausleitung, als Bulgarien 
in den Krieg eintrat, viele leichtere Verbrecher entließ, das heißt, den 
Militärbehörden übergab, damit sie, insoweit sie zu Militärdiensten 
tauglich wären, in die Reihen der Kämpfer eingestellt würden. Es 
waren ihrer genug, denn im Niser Strafhause befanden sich auch jene 
gleich zu Kriegsbeginn aus den Belgrader Strafhänfern dahin ge- 
brachten nebst noch vielen aus anderen Strafanstalten. 
Noch erzählte mir dieser Sträflingswächter, daß uuser Militär 
die ganze Nacht hindurch sich von der Gramada gegen Prokuplje zurück- 
gezogen habe. „Es geht mit uns zu Ende. So ist's, mein lieber Herr." 
Aus der Höhe der Festung fand ich tatsächlich zwei Automobile und 
einige Soldaten der Autoabteilung stehen. Sie luden irgendwelche 
Sachen auf und bereiteten sich zur Abfahrt vor. Für mich würde noch 
Platz sein, meinte» sie, nicht aber für die Meinigen. Damit war mir nicht 
geholfen, ich wünschte ihnen gute Reise: sie fuhren fort und ich kehrte 
langsam, sinnend zur Stadt zurück, — welches Unglück hat uns ge- 
troffen! Es kam mir nach der, obwohl kurzen aber glänzenden Periode 
seltener Erfolge in den beiden letzten Kriegen um so schrecklicher vor. 
Es fiel mir ein Lied ein: „Entweder der Teufel oder Gott sträubt 
sich dagegen." Es schien, als hätten sich beide gegen uns verschworen. 
Als ich die Brücke verließ, ging ich in die Hauptstraße, in welcher es 
jetzt Leute gab, „daß es auch der Erde schon schwer wurde". Die er- 
brochenen Läden, — ich glaube kaum ihrer zehn blieben unversehrt — 
waren noch immer die Bühne, auf der sich die Plünderer tummelten. 
Der letzte Akt des Vernichtens wurde zu Ende gespielt. Alles, was 
diesen „Kunden" wertlos schien, wurde hinausgeworfen, verschüttet, 
zertreten und zerbrochen. Keiner dachte an den Feind, der schon vor 
der Stadt stand, kein Wort vernahm ich, das diese bittere Wahrheit 
verkündigt hätte. Wenn nur wenigstens das einzige Wort „Bulgare" 
gefallen wäre. Auch viele Soldaten gab es da, die haufenweise durch 
das Stambuler Tor hereinfluteten. Selbstverständlich kehrten auch 
diese in die „offenen Geschäfte" ein, um zu sehen, ob nicht noch etwas 
zu finden wäre. 
Ich ging gegen die Eisenbahnstation zu einer Verwandten, um 
zu sehen, wie es mit ihr steht. Unterwegs stieß ich auf weggeworfene 
Gewehre, Patronen, Bajonette usw., stellenweise zu 3—4auf einem 
Haufen. Ich ging wieder zum Markt zurück und suchte den Ge 
meindepräsidenten auf, der, einer unter wenigen, zurückgeblieben 
war. Ich traf ihn vor seinem Geschäfte mit umgeschnalltem Revolver. 
Er war sehr aufgeregt und schimpfte auf die Behörden, daß sie die 
Stadt auf Gnade und Ungnade dem Pöbel überlassen hatten. Als 
er hörte, daß ich nicht so glücklich sei, flüchten zu können, da ich keinen 
Wagen finde, sagte er mir, ein Einwohner führe sogleich mit seinem 
Ochsenwagen »ach Prokuplje, ich soll's mit ihm versuchen. Wie glück- 
lich war ich, als dieser Mann gleich daraus einging, daß sein Wagen 
mich und meine Angehörigen wegbringe. Schnell trugen wir alles, 
was mitnehmbar und notwendig war in sein Haus: Verpflegung, 
Kleider, Wäsche und Decken. 
Kaum waren wir im Haus des bewußten Mannes angekommen, 
entstand in der nahe» Hauptstraße ein wilder Lärm und Rnfe wurden 
laut: „Die Bulgaren, die Bulgaren!" — Nun riß Panik ein. Jeder 
glaubte, der Feind fei schon in die Stadt eingedrungen. Da sah 
ich auch zwei Mönche, wie sie, die Kutten bis über die Knie gehoben, 
Hals über Kopf flohen. Gleich darauf kam der Gemeindepräsident 
zum Haus. Er lachte bitter und sagte mir, ich möge beruhigt sein, 
denn diesen Schrecken habe er selbst dnrch falschen Alarm den Leuten 
eingejagt, damit das Plündern endlich aufhöre. Das Manöver war 
ihm gelungen, den» auch die Soldaten fingen an, zur Station zu laufen, 
von welcher sie nach Proknplje zu gelaugen hofften. Andere, nament 
lich die Niser und die aus der Umgebung, welche bei ihren Bekannten 
Unterkunft und Gelegenheit gefunden hatten Zivilkleider anzulegen, 
versteckten sich in den Häusern, um in diesen die Bulgaren zu erwarten.
	        
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