Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

298 Der Krieg 
wendeten Hänge besetzt hielten. Der italienischen Artillerie 
war der Görzer Brückenkopf von allem Anfang an ein guter 
Zielpunkt gewesen. Ihre Beobachtung konnte ziemlich genau 
einsehen und ihre Batterien waren durch viele Monate auf alle 
unsere Stellungen genau eingeschossen. Durch 5 Schlachten 
war der Brückenkopf ein Höllenaufenthalt und der ehrenvolle 
Dienst seiner Verteidigung gegen eine zahlenmäßige feindliche 
Überlegenheit, der dazu noch breite Räume zur Entwicklung 
zur Verfügung standen, erforderte stete Todesbereitschaft. 
Die erbittertsten Formen nahm der Kampf um Görz wohl in 
der dritten und in der fünften Jsonzoschlacht, der sogenannten 
Parlamentsschlacht an, wo die Italiener mit großem artilleri¬ 
stischem Aufwand durch Wochen einen Jnfanteriesturm nach dem 
anderen einsetzten, Tag und Nacht gegen die Mauer unserer 
Verteidigung anrannten, um Herren der Jsonzoübergänge zu 
werden. Viele italienische Bataillone verbluteten an diesem 
Ufergelände. 
Was nicht durch Artilleriefeuer fiel oder verscheucht wurde, 
machten die Bajonette nieder. Haufenweise lagen die italieni- 
schen Leichen vor den Stellungen, so daß unsere Soldaten 
nur mit vorgebundener Chlormaske den Verwesungsgeruch 
rings um die Gräben ertragen konnten. Die Verteidiger wichen 
nicht und hielten unerschütterlich stand in dem feindlichen 
Massenfeuer, das in einem Punktschießen immer wieder in die 
Stellungen ablief. Flieger erzählten, die Brückenstellung sehe 
von oben wie eine Sandfläche mit unzähligen Fingerabdrücken 
aus, so säße Trichter neben Trichter. Vom Waldbestand der 
Podgora war längst nichts mehr übrig. Auch das Steinkreuz 
auf der Höhe, das die Artillerie lange scheinbar übersehen hatte, 
war wie weggeputzt. Ein trauriger nackter Bergrücken blieb 
übrig. Das Dorf Podgora war von Granaten zerschlagen, 
nur das Schloß Grafenberg leuchtete noch weiß aus dem 
Bilde der Zerstörung. Nachts, wenn nur die Scheinwerfer 
arbeiteten, wurden die Stellungen wieder notdürftig ans-- 
gebessert und auf der Straße von Görz nach Ovcja Draga 
die todmüden Verwundeten zurückgesendet. Die Brücke, die 
oberhalb Görz über den hier etwa 150 Schritt breiten Jsonzo 
führt, nannten die Italiener selbst die Brücke des Todes. 
Ihre Artillerie konnte sie genau einsehen und jeden einzelnen 
beobachten, der sie passierte. Wie sich etwas zeigte, waren so; 
fort die weißen Wölkchen der Schrapnells da und die Fül- 
lungen prasselten auf das Brückenfeld. Eines Tages war sie 
dann so arg zerschossen, daß Pioniere daneben eine Stahl; 
brücke herstellen mußten. Am nächsten Morgen schössen die 
italienischen Batterien etwas mehr rechts. Bei jeder Ablösung 
mußte die Besatzung des Brückenkopfes diesen Übergang 
passieren. — Die Erbitterung, mit der Tag und Nacht um das 
nur eine halbe Wegstunde entfernte Görz gekämpft wurde, 
stellte an Ausdauer und Zähigkeit der Verteidigungstruppen 
die härtesten Anforderungen. Namentlich der Abschnitt zwischen 
Kote 188 und der Kirche von Oslavija sah die furchtbarsten 
Einzelkämpfe. Überall wehrten sich unsere Leute bis zum 
letzten. Regimentskommandanten und Brigadiere kämpften 
in den vordersten Reihen und wurden schwer verwundet. Alles 
Verfügbare an Menschen und Waffen wurde eingesetzt und 
nur so war das schier Unmögliche möglich, eine so exponierte 
Stellung wie die am rechten Jsonzonfer bei Görz gegen einen 
übermächtigen Feind festzuhalten. Auch jetzt wäre sie wohl 
nicht verloren gegangen, wenn unsere oberste Heeresleitung 
nicht der Ansicht gewesen wäre, den Echek an der wolhynischen 
Linie durch eine Schwächung unserer Südwestfront ausgleichen 
zu dürfen. Die Italiener hatten wieder einmal Glück gehabt! 
gen Italien. 
Als am Montag, den 7. August die Situation am rechten 
Ufer des Jsonzo derartig wurde, daß an eine weitere Behaup- 
tung des Brückenkopfes nicht mehr gedacht werden konnte, 
begann man mit der Räumung der Stadt. Die Zivilbe¬ 
völkerung war schon vor Monaten immer wieder daraus 
aufmerksam gemacht worden, daß infolge der italienischen 
Beschießung große Gefahr für ihre Sicherheit bestände. Aber 
einzelne Schichten der Bevölkerung, namentlich die Ärmsten, 
wollten ihre Wohnstätten nicht verlassen und lieber sterben, 
wo sie geboren waren. Bis zur letzten Stunde haben die 
Behörden der zertrümmerten Stadt ihre Pflicht getan. Solange 
es nur ging, blieben die Beamten der Bezirkshauptmannschaft 
in ihren Amtsstuben. Erst als ihnen der Plafond über den 
Köpfen zusammenfiel, mußten sie sich nach einem anderen 
Arbeitslokal umsehen. Der landesfürstliche Kommissär amtmle 
seit Monaten im Keller, aber erst in allerletzter Stunde haben 
alle diese Beamten ihren Dienst verlassen, als der Befehl kam. 
Die letzte Nacht vom 7. auf den 8. August ist für Görz 
die furchtbarste gewesen. Schon am Tage hatten die italie- 
nischen Brandgranaten an verschiedenen Stellen gezündet 
und am Abend brannten ganze Häuserzeilen. Das Dröhnen 
der Artilleriegeschosse ließ die Stadt erzittern. Sausend und 
krachend flogen die Granaten und unten am Ufer des Jsonzo 
schien die Hölle los. Wenn der Lärm der schweren Geschütze 
manchmal für Sekunden verstummte, kam das Ticken der 
Maschinengewehre, als klopfte der Tod an die Tore der Stadt. 
Als unsere Truppen, die frühmorgens auf das linke Jsonzo, 
ufer gegangen waren, den Befehl zur Räumung der Stadt 
erhielten, verließen sie einen Trümmerhaufen, aus dem Brände 
hoch aufschlugen. Es waren die Reste der Stadt Görz. 
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Die Räumung des Görzer Brückenkopfes wurde in Italien ' 
natürlich auf bombastische Weise gefeiert. In zahlreichen Orten, 
namentlich in Rom und Mailand fanden Umzüge mit Fahnen 
und Musik statt. Die Presse war bemüht, den erzielten Erfolg 
in glänzende Beleuchtung zu setzen und die Spezialkorre- 
spondenten im italienischen Hauptquartier sandten den römischen 
und Mailänder Blättern spaltenlange Berichte mit Schilde- 
rungen der Kämpfe. Immerhin klang in den meisten Berichten 
der Respekt vor der österreichisch--ungarischen Verteidigung 
durch und es wurde zugegeben, daß die Räumung des Brücken- 
kopfes angesichts des konzentrischen Feuers außerordentlicher 
italienischer Artilleriemassen unvermeidlich war und daß die 
besetzten Stellungen von den schweren Granaten vollständig zer- 
stört seien. Vorsichtig wurde angedeutet, daß die eigenen Opfer 
nicht gering seien, da der Widerstand der k. n. k. Truppen ein 
äußerst erbitterter gewesen, und daß neue Kämpfe bevorständen. 
In der Nacht hatten sich unsere Truppen nach der Aufgabe 
von Görz nur auf die knapp östlich der Stadt beginnenden Höhen 
in längst vorbereitete Stellungen zurückgezogen, auf welchen sie 
den weiteren Angriff des Feindes erwarteten. Mit dieser neuen 
Verteidigungslinie mußte aber nun auch jene auf dem Plateau 
von Doberdo in Einklang gebracht, d. h. es mußten auch hier die 
so lange zäh verteidigten Stellungen am Mest--und Nordrande der 
Hochebene geräumt und weiter östlich gelegene Positionen gewählt 
werden. Die weit vorgeschobene Bastion von Doberdo, welche so 
gute Dienste für die Verteidigung von Görz geleistet hatte, hatte 
mit der Räumung der Stadt ihren Wert eingebüßt. Die nun 
italienisch gewordene Görzer Ebene bedrohte den Rücken der Do- 
berdostellung und es bestand die Gefahr, daß die Italiener von 
dort aus in' das Vallonetal eindringen und die Verteidiger des 
Plateaus abschneiden könnten. Der Südflügel unserer 5. Armee 
wurde daher bis auf die Osthänge des Vallonetals zurückge-
	        
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