Volltext: Die Geschichte des Weltkrieges II. Band (2,1920)

Der Krieg gegen Italien, 
Patrouille am Ortlergletscher. 
Stilfser Joch führt. Der feindliche Vormarsch war uns 
rechtzeitig bekanntgeworden und wurde durch das Feuer 
unserer Patrouillen wesentlich verzögert. Erst am Nach-- 
mittag gelang es dem etwa 40—50 Mann starken Gegner, 
aus einem mitgeführten Gebirgsgeschütz bis gegen 11 Uhr 
nachts etwa 70 Schüsse gegen unsere Stellungen abzugeben, 
die aber keine wesentliche Beschädigung verursachten. Das 
fortgesetzte, von mehreren Seiten unterhaltene In-- 
fanteriefener zwang den Feind, noch diese Nacht gegen die 
italienische Alpenvereinshütte Capanna Cedeh zurückzu-- 
gehen. Eine am nächsten Tage von der nordwestlich davon 
am Rande des Zebrügletfchers gelegenen Mailänderhütle 
zur Unterstützung vorrückende Halbkompagnie wurde gleich-- 
falls durch Jufanteriefeuer zum schleunigen Abmarsch 
über den Gletscher veranlaßt. In den nächsten Tagen 
folgten die Unseren dem Feinde auf italienisches Gebiet. Am 
24. September beschoß Artillerie die Cedehhütte, worauf 
Infanterie vom Cedehfee aus vorging und stürmend durch 
das breifache Drahthindernis bei der Hütte eindrang. Nur 
wenige Italiener hatten das Gefecht angenommen, das 
Gros flüchtete nach den ersten Schüssen talwärts, nachdem 
es vorher eine weiße Fahne auf dem Hause gehißt hatte. 
Die verwegenen Kletterer auf den Pasqualehängen sorgten 
durch ihre Schüsse auch weiter für das Tempo des Rückzugs. 
Die immer mehr südwärts erscheinenden Wolken unserer 
Schrapnells bildeten eine deutliche Wegmarkierung. In der 
Hätte wurden nebst 12 Gewehren und reichlicher Munition 
zahlreiche Rüstungsstücke aller Art, Lebensmittel und Kälte-- 
schutzmittel erbeutet. Dann hüllten lodernde Flammen 
den ehemaligen Zufluchtsort der Feinde ein. Nach dieser 
Säuberung nahmen unsere Geschütze auch die Mailänder 
Hütte unter Feuer. So endete die schwierige, mit anerkenn 
nenswerter Ausdauer versuchte feindliche Aktion überall 
mit einem lückenlosen Mißerfolge. 
In der folgenden Winterzeit beschränkten sich im Stilfser 
Jochabschnitte beide Gegner auf die Grenzsicher» ug und zeit¬ 
weiliges Artilleriefeuer. Trotz 
Eis und Schnee hielten unsere 
Braven die im Sommer be-- 
haupteten Stellungen auch 
auf italienischem Gebiete und 
fanden häufig Gelegenheit, 
ihren Unternehmungsgeist und 
ihre Unerschrockenheit zu be- 
tätigen. 
So brachten sie es im 
Jänner 1916 zuwege, einen 
Geschützstand auch auf der 
Naglerspitze herzustellen, den 
höchsten des Weltkrieges, fast 
Meter über dem Meere. 
Die Naglerspitze ragt süd* 
östlich des Monte Scorluzzo, 
inmitten von zerbrochenen, 
spaltenreichen Gletschern der 
Ortlergruppe auf. Ihre Flau- 
ken sind firnüberzogene Plat¬ 
ten, ihr Haupt ist aus rie- 
sigen Felsblöcken gefügt. Die 
Schneestürme des Winters 
hatten die tückischen Spalten 
verdeckt, hatten Wächten und 
Verwehungen gebildet. Grim-- 
mige Kälte bis zu 40 Grad hatte den Schnee beinhart ge- 
froren, die Felsen mit einer glasigen Eisschicht bedeckt. Und 
dort oben standen unsere Feldwachen trotz Schneesturm und 
Polarkälte. Die Spitze, die weit hinauslugt ins feindliche 
Land, war das Ziel so mancher Angriffe gewesen. Im Som- 
mer kamen die Alpini über die Hänge herauf, im Winter auf 
Skiern über den Schnee. Von ringsum wurde sie von der 
feindlichen Artillerie aufs Korn genommen und viele Geschosse 
hatten ihren Leib zerwühlt. Zur Unterstützung der Wackeren, 
die da oben aushielten, war es geboten, auch unsererseits 
ein Geschütz hinaufzubringen. Die Unternehmung forderte 
einen wohldurchdachten Plan und lange Vorbereitungen, 
wenn sie glücken sollte. In einer nebligen Jännernacht mit 
unsicherem Licht bewegte sich eine lange weiße Kolonne lautlos 
über die Schneefelder. Vorne eine Skipatrouille, die den Weg 
zu erkunden, vor Spalten zu warnen und die Tragfähigkeit 
der Schneemassen zu prüfen hatte. Dann folgten die 
Schlitten, von Soldatenhänden gezogen und zuletzt die Sani- 
tät mit den Rettungswerkzeugen, alle Teilnehmer in weißen 
Schneemänteln. Der Gletscherverhältnisse wegen mußte 
ein weiter Umweg gemacht werden. Stunde auf Stunde 
verrann in harter Arbeit. Wiederholt durchbrach einer der 
Leute die Schneedecke und verschwand in einer Spalte, 
aber immer glückte in kurzer Zeit die Rettung. Mitgeschleppte 
Bretter mußten oft für die Schlitten eine Brücke bilden 
über die gähnenden Klüfte. Die Stille der Hochgebirgsnacht 
wurde nur unterbrochen vom Keuchen der Männer, dem 
Knirschen des Schnees und dem unterirdischen Dröhnen 
des berstenden Eises. Plötzlich wurde es heller; der Mond 
blickte durch die zerrissenen Nebelmassen und gleich darauf 
kamen schon heulend die Geschosse der feindlichen Artillerie 
geflogen. Ein Massenfeuer von allen Seiten. Da hieß es, 
sich ducken und stille liegen. Aber ebenso schnell, wie er ge- 
kommen, verschwand der Mond in dunkler Nebelwand, 
das Feuer erstarb und wieder breitete sich tiefes Schweigen 
über die Eiswüste. Als der Morgen graute, war das Geschütz
	        
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